Sonnige Aussichten für Polymere: Molekulare Materialien für die künstliche Photosynthese
Forschungsbericht (importiert) 2014 - Max-Planck-Institut für Festkörperforschung
Einleitung
Die Suche nach erneuerbaren Energieformen stellt zweifelsohne eine zentrale Herausforderung für Naturwissenschaft und Technik dar. Eine unerschöpfliche Quelle erneuerbarer Energie ist die Sonne: Die Energie, die binnen einer Stunde auf der Erdoberfläche auftrifft, deckt den weltweiten Energiebedarf für ein gesamtes Jahr [1]. Der Energieeintrag der Sonne kann dabei auf unterschiedlichste Weise genutzt werden, wobei Solarthermie und Photovoltaik schon heute zur dezentralen Energieversorgung beitragen.
Biomasse und selbst fossile Brennstoffe wie Öl und Gas sind letztlich ebenfalls solare Energieformen, die durch natürliche Photosynthese über Jahrmillionen fixiert und nutzbar gemacht worden sind. Photosynthese – die Umwandlung von Sonnenenergie in Biomasse aus Kohlenstoffdioxid und Wasser – ist das Produkt einer Reihe ineinandergreifender lichtinduzierter chemischer Prozesse, die bereits Generationen von Chemikern zur Nachahmung inspiriert haben und die Keimzelle für ein prosperierendes Forschungsgebiet bilden: „Künstliche Photosynthese“. Die lichtgetriebene Erzeugung chemischer Rohstoffe nach dem Vorbild der Natur stellt aus heutiger Sicht eine zentrale Strategie zur nachhaltigen Erschließung CO2-neutraler, erneuerbarer und speicherbarer Energien dar, deren Zukunftspotenzial sich an der Energie- und Ressourceneffizienz der involvierten molekularen Prozesse wird messen lassen müssen.
Keep it simple!
Dabei ist das Rüstzeug der Chemiker weit weniger komplex als das der Natur, die sich einer raffinierten Kaskade an energetisch fein abgestimmten Elektronentransfer-Prozessen innerhalb der Photosysteme I und II bedient, um Kohlenhydrate nebst Sauerstoff aus CO2 und Wasser herzustellen. „Solare Brennstoffe“ – das künstliche Analogon zur Biomasse – werden im Labor insbesondere über zwei vergleichsweise einfache Verfahren hergestellt: die lichtinduzierte Spaltung von Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff sowie die wasservermittelte Reduktion von CO2 in hochwertige kohlenstoffbasierte Energieträger wie Methanol (CH3OH) oder Methan (CH4). Das Herzstück dieser Verfahren ist die Photokatalyse, die in ihrer Essenz die Umwandlung von solarer Energie in chemische Energie, vermittelt durch einen Photokatalysator, bewirkt. Der Photokatalysator – typischerweise ein Licht absorbierender Halbleiter wie z. B. TiO2 – verleiht den Ladungsträgern im Tandem mit der Lichtquelle die nötige Energie, um an seiner Oberfläche Redoxreaktionen mit Wasser oder CO2 einzugehen und diese unter Wiederherstellung seiner elektronischen Ausgangskonfiguration in die Zielmoleküle – Wasserstoff, Methanol und andere – zu überführen.
Der Materialmix macht's
Seit dem bahnbrechenden Experiment von Fujishima und Honda, die im Jahre 1972 erstmals die photoelektrochemische Spaltung von Wasser an einer TiO2-Photoanode und einer Platin-Kathode ohne externes elektrisches Potenzial demonstrierten [2], wurde eine Vielzahl molekularer, halbleiterbasierter und Hybrid-Photokatalysatoren entwickelt und in Form von photoelektrochemischen Zellen getestet. Dabei wird die Suche nach neuen, effizienten Systemen durch eine Reihe von Kriterien geleitet, darunter Effizienz, Stabilität, Preis und Nachhaltigkeit sowie Toxizität.
Neben den traditionell gut untersuchten oxidischen Halbleitern rücken seit einigen Jahren alternative kohlenstoffbasierte – und damit metallfreie und potenziell ressourcenschonende – heterogene Photokatalysatoren in den Fokus des Interesses. Nach grundlegenden Arbeiten zur Struktur polymerer Kohlenstoffnitride [3] – aus Kohlenstoff und Stickstoff aufgebaute Netzwerke – und der Entdeckung ihrer photokatalytischen Aktivität 2009 [4] entwickelten sich Kohlenstoffnitride durch Texturierung und Hybridisierung zu einer kompetitiven Klasse „organischer“ Photokatalysatoren, zu deren Verständnis und Weiterentwicklung unsere Gruppe in jüngster Zeit wichtige Impulse geliefert hat.
Vom Molekül zum Material: Rationales Katalysator-Design
Kohlenstoffnitride stellen in vielerlei Hinsicht „Exoten“ unter den gängigen Photokatalysatoren dar; ihre Attraktivität liegt in ihrer ausgedehnten Festkörperstruktur, die durch wohldefinierte molekulare Einheiten – stickstoffhaltige Heterozyklen – charakterisiert ist: Dieser Aufbau verleiht ihnen eine für Polymere ungewöhnliche chemische und thermische Stabilität und bietet darüber hinaus Raum für „molekulares Design“ durch rationale Synthesechemie (Abb. 1). Damit bilden Kohlenstoffnitride nicht nur eine Verbindungsklasse, die ressourcenschonend und ökonomisch hergestellt werden kann; sie eröffnen darüber hinaus neue Perspektiven für die gezielte Herstellung maßgeschneiderter Photokatalysatoren mit optimierten Eigenschaftsprofilen.
Die entscheidende Kenngröße für Photokatalysatoren ist ihre Quantenausbeute, d. h. die Menge an solarem Brennstoff, der pro Anzahl eingestrahlter Photonen erzeugt wird. Trotz intensiver Forschung bewegen sich typische Quanteneffizienzen für die photokatalytische Wasserspaltung im Bereich weniger Prozent und sind damit um eine Größenordnung zu niedrig für industriell relevante Maßstäbe. Grund für diese Effizienzverluste sind zum einen das oft schlechte Lichtsammelverhalten der Photokatalysatoren, Verlustprozesse bei der Extraktion der Ladungsträger sowie kinetische Überspannungseffekte bei der chemischen Umwandlung der Substrate an der Elektrolyt-Katalysator-Grenzfläche. Hinzu kommt die mögliche (Photo)korrosion, die dem Langzeitbetrieb des Photokatalysators enge Grenzen setzt.
Kohlenstoffnitride bilden dank ihres molekularen Aufbaus eine ideale chemische Spielwiese für die rationale Katalysator-Optimierung, die sich im Wesentlichen auf zwei Strategien gründet: das verbesserte Einsammeln von Photonen und das effiziente Weiterleiten der lichtinduzierten Ladungsträger (Elektronen oder Löcher).
Photonen sammeln und Elektronen weitergeben
Kohlenstoffnitride absorbieren in der Regel nur hochenergetisches ultraviolettes und blaues Licht und damit nur wenige Prozent des Sonnenspektrums; verantwortlich dafür ist die etwas zu große Energielücke zwischen den höchsten besetzten und niedrigsten unbesetzten elektronischen Zuständen. Die Maximierung der Lichtabsorption und damit die Erhöhung der Licht-zu-Wasserstoff-Effizienz gelang uns in einem aus sog. Triazin-Einheiten aufgebauten Kohlenstoffnitrid – sog. Poly(triazinimid), PTI – durch gezieltes Einbauen von molekularen „Störstellen“ in das Kohlenstoffnitrid-Grundgerüst (Abb. 1). Durch diese Dotierung mit Fremdbausteinen werden elektronische Zustände in die Bandlücke eingeführt, die die zusätzliche Absorption niederenergetischer Photonen ermöglichen – und damit eine deutlich verbesserte Lichtsammel-Bilanz [5].
Die deutlich erhöhte photokatalytische Aktivität von dotiertem PTI lässt sich allerdings nicht durch die verbesserte Lichtausbeute allein erklären; mit der Dotierung wurde gleichzeitig an einer weiteren Stellschraube gedreht: der Morphologie, d. h. der Partikelform und -größe, die wiederum die spezifische Oberfläche des Photokatalysators und damit die Interaktionsfläche zwischen Kohlenstoffnitrid und Substrat definiert. Durch gezielte Vergrößerung der Oberfläche können die im Inneren des Photokatalysators durch Licht gebildeten Ladungsträger – mehr oder wenig stark gebundene Elektron-Loch-Paare – schnell und effizient an die Oberfläche transportiert, getrennt und dort mit dem Substrat zur Reaktion gebracht werden, bevor die kompetitive Rekombination stattfinden kann, bei der die angeregten Ladungsträger ihre Energie in Form von Wärme, Licht oder durch andere „unproduktive“ Kanäle abgeben. Die Ladungsträger werden also in Materialien mit großen Oberflächen effizienter umgesetzt – exakt dieser Mechanismus greift auch in dotiertem PTI, das eine um den Faktor drei größere Oberfläche zeigt als das undotierte Ausgangsmaterial [5].
Der massive Einfluss der Oberfläche auf die photokatalytische Aktivität konnte im selben System mit einem Trick belegt werden: PTI, eine schichtartig aufgebaute Verbindung, kann durch Exfolierung, d. h. „Entblättern“, in einzelne Nanoschichten zerlegt werden. Dieser strukturelle Eingriff maximiert die Wechselwirkungs(ober)fläche mit dem umgebenden Wasser, lässt aber die relevanten elektronischen und optischen Eigenschaften intakt. PTI-Nanoschichten sind in der lichtinduzierten Wasserstoffentwicklung um eine Größenordnung aktiver als das nicht exfolierte Ausgangsmaterial (Abb. 2) [6].
Im Sinne der Ressourceneffizienz ist die Entwicklung aktiver, aber auch kostengünstiger Co-Katalysatoren – verwendet wird aktuell vor allem das Edelmetall Platin – ein wichtiges Anliegen, da die Umwandlung von Protonen zu Wasserstoff nur an speziellen, oft metallischen Oberflächen ungehemmt, d. h. mit geringer Überspannung verläuft. Auch hier bietet es sich an, bei der Natur in die Lehre zu gehen: Ersetzt man das Platin an Kohlenstoffnitrid-Oberflächen mit einer Hydrogenase – einem in vielen Mikroorganismen vorkommenden Metalloenzym, das die reversible Reduktion von Protonen zu Wasserstoff katalysiert – beobachtet man in wässriger Lösung lebhafte Wasserstoffentwicklung (Abb. 3). Die Effizienzen der am Stuttgarter Max-Planck-Institut in Zusammenarbeit mit der Universität Cambridge entwickelten bio-inspirierten Hybridsysteme sind dabei denen der platinhaltigen Systeme überlegen, was interessante Perspektiven für den Ersatz von Edelmetallen durch günstigere, biomimetische Elektrokatalysatoren eröffnet [7].
Ausblick: Maßgeschneiderte Poren für die Photokatalyse
Die an Kohlenstoffnitriden gesammelten Erkenntnisse zeigen eindrücklich, dass die Effizienz wichtiger Teilschritte im photokatalytischen Gesamtprozess durch Änderungen der molekularen oder nanoskaligen Architektur des Photokatalysators gezielt adressiert werden kann [5–8]. Lichtausbeute, Oberflächenbeschaffenheit, Kristallinität und Rigidität sind dabei Kenngrößen, die es zu optimieren gilt mit dem Ziel, die Lebenszeit der photogenerierten Ladungsträger und deren ungehinderte Diffusion an die Oberfläche zu maximieren. Eine für die Realisierung dieses Eigenschaftskatalogs prädestinierte Verbindungsklasse sind kovalente organische Netzwerke – nach dem Lego-Prinzip aus molekularen Einheiten aufgebaute hochporöse Architekturen, deren Bausteine synergistisch zusammenwirken und somit aufeinander abgestimmte Funktionen im Photokatalyse-Prozess erfüllen können (Abb. 4). Das erste Beispiel eines solchen maßgeschneiderten Netzwerks wurde in unserer Gruppe bereits für die photokatalytische Wasserstoffentwicklung entwickelt [9] – eine neue Generation kristalliner photoaktiver Netzwerke sitzt damit im Rennen um den Photokatalysator der Zukunft bereits in den Startlöchern.