Große Moleküle unter der Nadel
Forschungsbericht (importiert) 2013 - Max-Planck-Institut für Festkörperforschung
Die präzise Beschreibung unserer Umgebung ist eine wesentliche Voraussetzung für den technologischen Fortschritt. Für die Nanotechnologie ist insbesondere die Kenntnis der atomaren Struktur von Molekülen und Festkörpern wichtig, denn auf kleinster Längenskala beeinflusst jedes einzelne Atom die Eigenschaften eines Nanoobjekts [1]. Das gilt für Cluster weniger Atome genauso wie für komplexe, synthetische und auch natürliche, molekulare Nanostrukturen. Die biologische Informationsverarbeitung und Speicherung in DNA sowie die zahlreichen biochemischen Prozesse, die durch unterschiedliche Proteine bewerkstelligt werden, sind beeindruckende Beispiele für das Potenzial der molekularen Nanotechnologie.
Eine zentrale Rolle in der Nanotechnologieforschung spielt die Rastersondenmikroskopie, da sie Atome und Moleküle der direkten Beobachtung sogar einzeln zugänglich macht. Die Funktionsweise eines Rastertunnelmikroskopes ist denkbar einfach: Mithilfe des letzten Atoms einer feinen Nadel wird die zu untersuchende Oberfläche durch die Messung eines Tunnelstroms berührungsfrei abgetastet, da dieser Strom selbst dann fließt, wenn Spitze und Oberfläche sich lediglich sehr nahe kommen (Abb. 1a). Zudem hängt die Stromstärke empfindlich vom Abstand ab, was die atomgenaue Vermessung der Topografie erlaubt. Mit Picometer-Präzision wird die Spitze in einer Rasterbewegung über die Probe geführt und aus dem gemessenen Tunnelstrom eine Karte der Probenoberfläche mit atomarer Auflösung erzeugt (Abb. 1b). Dabei werden die Atome der Kristalloberfläche ebenso abgebildet wie darauf befindliche Moleküle, in Abbildung 1b etwa ein Farbstoffmolekül, das auf einer Oberfläche aus Titan- und Sauerstoffatomen gebunden ist. Besonders hohe Auflösung und die Möglichkeit der gezielten Manipulation einzelner Moleküle erreicht man mit Mikroskopen, die bei sehr tiefen Temperaturen (T≤4 Kelvin) im Ultrahochvakuum (UHV, p≤10-10 mbar) arbeiten.
Ei verdampft nicht
Wird Wasser erhitzt, entsteht Wasserdampf, der dann zum Beispiel an einer kalten Fensterscheibe kondensiert. Das ist das Grundprinzip der Vakuumbeschichtung, welches neben Wasser auch für eine Vielzahl anderer Moleküle funktioniert. Die materialspezifische Verdampfungs- bzw. Sublimationstemperatur sorgt für die Reinheit des Dampfes und damit auch für die Reinheit der adsorbierten Schicht. Als Methode zur atomar genauen Materialsynthese ist Vakuumverdampfung enorm erfolgreich, zum Beispiel bei der Herstellung von Halbleiterbauelementen für die Informationsverarbeitung, bei der Lichterzeugung oder der Sonnenenergiegewinnung. Wird hingegen Ei erhitzt, so beobachtet man, dass das Ei stockt. Im besten Fall erhält man ein Spiegelei. Erhitzt man jedoch zu sehr, zersetzt sich die Substanz.
Was als Küchenexperiment sofort nachvollziehbar ist, stellt ein technologisches Problem dar: Es gibt viele, typischerweise große, kompliziert gebaute, organische Moleküle wie etwa die Proteine im Eiweiß, die nicht verdampfbar oder thermisch instabil sind. Aber gerade deren Funktionalität macht eine Untersuchung mit hoher Präzision interessant – wegen ihres Potenzials als Bausteine zukünftiger funktionaler Materialien. Aber leider sind sie mit hochreinen Herstellungsverfahren, wie der Vakuumverdampfung oder mit vakuumbasierten Analyseverfahren, die wie Rastertunnelmikroskopie bei tiefen Temperaturen auf die Probenpräparation durch Verdampfen angewiesen sind, nicht kompatibel.
Atomar genau wägen
Ein ähnliches Problem stellte sich in der Vergangenheit einer anderen atomar genauen Analysenmethode, der Massenspektrometrie. Das elektrische Aufladen von Gasteilchen durch die Kollision mit einem Elektron ermöglicht deren Trennung durch elektrische und magnetische Felder bezüglich der Masse, genauer nach dem Masse-zu-Ladungs-Verhältnis m/z (Abb. 2c). Diese Messung erlaubt die direkte Identifizierung der chemischen Elemente. Wiederum ist dafür ein Versuchsaufbau im Vakuum notwendig, da nur der ungehinderte Flug der Ionen ohne Kollision mit anderen Gasteilchen die Messung von m/z möglich macht. Das heißt, es kann alles gewogen werden, was in ein Gas überführt und aufgeladen werden kann. Große und komplexe Moleküle, die nicht verdampfbar sind, wie etwa die Proteine im Ei, waren daher für die Massenspektrometrie nicht geeignet.
Die Entdeckung der Elektrospray-Ionisierung (ESI) von Molekülen aus Lösung beseitigte diese Einschränkung [2]. Durch das Anlegen einer sehr hohen elektrischen Spannung wird eine Flüssigkeit, die Moleküle enthält, in feinste, geladene Tröpfchen zerstäubt (Abb. 2a,b). Während diese durch Trocknung an Luft immer weiter schrumpfen, werden sie durch die zunehmende Ladungsabstoßung instabil und zerfallen wiederum in kleinere Tröpfchen, bis zu dem Punkt, an dem die gelösten Moleküle als molekulare Ionen in die Gasphase übergehen. Selbst sehr große und thermisch instabile Moleküle wie Proteine werden so schonend ionisiert und bleiben intakt, sodass sie im Massenspektrometer nachgewiesen werden können. Die Entdeckung dieser Ionisierungsmethode führte zu einem großen Aufschwung der Massenspektrometrie als eine der wesentlichen Analysemethoden für biochemische Fragestellungen. Moderne ESI-Massenspektrometer messen die Masse eines Proteins aus mehreren tausend Atomen bis auf ein Wasserstoffatom genau, sodass die Vielfalt der Proteine, Fette, Zucker und vieler anderer Biomoleküle eindeutig identifiziert werden kann [3].
Eine neue Depositionsquelle
Unser Ansatz für die Vermessung von großen, nicht verdampfbaren Molekülen mit dem Rastertunnelmikroskop ist die Ausnutzung der Elektrospray-Ionenquelle für die Deposition auf Oberflächen. Ein molekularer Ionenstrahl, der ins Ultrahochvakuum geleitet wird, sollte eine vergleichbare Qualität bei der Oberflächenbeschichtung erreichen wie die Verdampfung und so die technologische Lücke zwischen der Welt der funktionalen biologischen Moleküle und der atomar aufgelösten Mikroskopie im UHV schließen. In Abbildung 2 ist der Aufbau einer Elektrospray-Ionenstrahldeposition (ES-IBD) skizziert [4, 5]. Ionen aus der ESI-Quelle werden durch eine Kapillare ins Vakuum geleitet. In einer stufenweise gepumpten Anlage wird nach sechs Kammern Ultrahochvakuum erreicht. Ionenoptiken, die den Strahl bündeln und fokussieren, führen den Strahl durch kleine Löcher von einer Kammer in die nächste. Ein Quadrupol-Massenfilter in der dritten Pumpstufe wählt ein Ion für die Deposition aus und entfernt den Rest aus dem Strahl. Das Flugzeit-Massenspektrometer in der vierten Pumpstufe dient der chemischen Charakterisierung des Ionenstrahls vor der Deposition. Letztlich wird der Ionenstrahl in der sechsten Pumpstufe deponiert. Dort werden auch die wichtigen Kenngrößen – Ionenstrom und kinetische Energie – gemessen und eingestellt, was es ermöglicht, die Wechselwirkung der Ionen mit der Oberfläche und deren Bedeckung quantitativ zu kontrollieren. Beide Parameter sind einzigartig für die Ionenstrahldeposition, da sie auf dem Nachweis und der Beeinflussung der elektrischen Ladungen auf den Molekülen beruhen.
Gefaltet – Entfaltet – 2D-Rückgefaltet
Das Potenzial der Ionenstrahldeposition wurde am Institut anhand vieler Beispiele demonstriert, wie etwa für Farbstoffe [5], Komplexverbindungen [6], Polymere, organische Cluster [7], oder molekulare Magnete [8]. Die größten bisher verwendeten Moleküle sind Proteine. Diese biologischen Moleküle bestehen aus einer langen Peptid-Polymerkette in einer Sequenz aus dem Alphabet der 20 natürlichen Aminosäuren. Proteine bestechen durch ihre Funktionalität, durch die Faltung in eine genau bestimmte dreidimensionale Form, obwohl eine nahezu endlose Zahl anderer Konformationen ebenso möglich wäre [9]. Die Bestimmung der Struktur von Proteinen auf atomarer Skala ist deshalb von größtem Interesse. Es ist zudem reizvoll zu untersuchen, ob Proteinfaltung auch außerhalb von biologischen Systemen, oder gar in extremen Umgebungen wie einer Oberfläche im Vakuum, stattfinden kann.
Abbildung 3a zeigt ein dreidimensionales Modell eines Proteins, hier Cytochrome-c (Cyt-c, 104 Aminosäuren, m=12384 amu), erstellt aus einer Röntgenstrukturanalyse eines makroskopischen Proteinkristalls. Dieses Protein ist ein globulares Objekt, dessen 25 nm lange Protein-Kette zu einem kugelförmigen Objekt von etwa 3 nm Durchmesser gefaltet ist. Dies ist die natürliche, funktionale Form des Proteins, so wie sie in der Zelle vorkommt.
In einem Elektrospray kann man Cyt-c, wie auch die meisten anderen Proteine, ionisieren. Protein-Ionen sind typischerweise mehrfach aufgeladen. Werden die Lösungen für das Elektrospray schonend angesetzt, so ist das entstehende Protein-Ion gefaltet und hat einen eher niedrigen Ladungszustand (+5…+10 für Cyt‑c). Die Zugabe von organischen Lösungsmitteln und Ameisensäure denaturiert die Proteine, die dann mit höheren Ladungszuständen (+7…+20) auftreten. Die Ladungszahl dient somit als Indikator für die Struktur des Ions und kann zur Steuerung der Deposition verwendet werden. Da in der Ionenstrahldeposition der Ladungszustand zudem über die Masse-zu-Ladungs-Selektion (Abb. 2) genau ausgesucht werden kann, ist die Einstellung der Konformation möglich. Deponiert man niedrige Ladungszustände, findet man globulare Objekte auf der Oberfläche (Abb. 4b); werden Ionen mit hohen Ladungszuständen deponiert, findet man entfaltete Proteine.
Ein Beispiel für ein sehr großes, entfaltetes, hoch geladenes Protein ist das in Abbildung 4c gezeigt (STM-Bild von Albumin auf einer Kupferoberfläche). Dieses Protein besteht aus etwa 500 Aminosäuren in einer 80 nm langen Peptidkette. Es hat eine Masse von 65500 amu und ist interessanterweise einer der Hauptbestandteile des Eis und – wie erwähnt – nicht verdampfbar. Auf der Oberfläche ist eine unregelmäßige Kontur von etwa 80nm Länge immobilisiert, was einem entfalteten Protein entspricht. Im Detail erkennt man entlang des Stranges eine Vielzahl von Erhebungen (helle Stellen), etwa im Abstand von 0,3 bis 0,7 nm. Diese Strukturierung ist die Ausprägung der unterschiedlichen molekularen Struktur der verschiedenen Aminosäuren in der Peptidkette. Je nach ihrer Zusammensetzung haben sie eine unterschiedliche Leitfähigkeit im Tunnelkontakt und erzeugen so den beobachteten Kontrast mit einer Auflösung von etwa einer einzelnen Aminosäure.
Für die Deposition finden unterschiedliche, atomar glatte Edelmetalloberflächen von Kupfer und Gold, genauer die Cu(100)- oder die Au(111)-Oberfläche, Verwendung. Die Kupferoberfläche wechselwirkt sehr stark, sodass Moleküle dort schon bei Raumtemperatur komplett immobilisiert werden (Abb. 3b,c). Die Goldoberfläche bindet, mit Ausnahme der Umkehrpunkte der Zickzack-Rekonstruktion, eher schwach. Hier diffundieren die Moleküle bei Raumtemperatur; man findet kondensierte Strukturen oft nur bei tiefen Temperaturen, in unserem Fall bei 40 Kelvin.
Indem man die entfalteten Proteine auf eine Goldoberfläche deponiert, erlaubt man ihnen sich nach der Deposition zu bewegen, bis sie für die STM-Aufnahme bei 40K eingefroren werden (Abb. 3d). Das Resultat sind wieder unregelmäßige, aber kompakte Strukturen. Während und nach der Deposition bei Raumtemperatur hatten die Proteine die Gelegenheit sich optimal anzuordnen und sich in unregelmäßige, zweidimensionale Aggregate zu falten. Faltung ist also prinzipiell auch auf Oberflächen im Vakuum möglich. Die Sequenz, die ein nützliches, dreidimensionales Protein in natürlicher Umgebung ergibt, erzeugt im Vakuum durch die veränderten Bindungskräfte unregelmäßige, zweidimensionale Strukturen. Es stellt sich also die Frage, ob diese 2D-Faltung auch reguläre funktionale Strukturen erzeugen kann und wie man die passenden Aminosäuresequenzen ohne Milliarden Jahre Evolution findet.
Faltung in zwei Dimensionen
Eine erste Antwort auf die Frage erhält man nach wesentlicher Vereinfachung des Experiments. Anstatt ein ganzes Protein mit hunderten von Aminosäuren zu deponieren, verwenden wir nur ein vergleichsweise kleines Peptid von nur 9 Aminosäuren, Bradykin, das aber mit m=1060 amu schon ein recht großes Molekül ist. Wird es als Ion auf die Kupferoberfläche gebracht, so bilden sich reguläre Strukturen aus je zwei Molekülen, welche die Oberfläche in großer Zahl bedecken (Abb. 4a). Das bedeutet, dass sich Bradykin in genau eine Konformation faltet, in der es den symmetrischen Dimer bilden kann, im Gegensatz zu den unregelmäßigen Strukturen, die sich bei den großen Proteinen finden.
Faltung in zwei Dimensionen im Vakuum ist also prinzipiell möglich. Nun ist es wichtig die beobachtete Struktur genau aufzuklären, um den Mechanismus der Faltung und die beteiligten Bindungsmotive zu verstehen. Darauf aufbauend könnte es gelingen, funktionale Strukturen auf Oberflächen durch Falten herzustellen. Molekulare Simulationen, deren Ergebnisse mit gemessenen Strukturen verglichen werden, sind geeignete Werkzeuge zur Analyse und Interpretation der komplexen Daten. Die Ergebnisse einer molekularen Simulation eines Peptid-Dimers auf der Kupferoberfläche sind in Abbildung 4c angedeutet. Das einzelne Peptid schließt einen Ring und bindet an seiner langen Seite an ein um 180° gedrehtes Gegenstück. Im molekularen Modell ist erkennbar, dass dabei viele reaktive Stellen abgesättigt sind, was diese Geometrie sehr plausibel macht. Der gezielte Austausch einzelner Aminosäuren sowie auch die lokale, spektroskopische Untersuchung der Strukturen sind die nächsten Schritte in dieser Arbeit, mit dem Ziel zweidimensionale Faltung in Zukunft zu verstehen und zu nutzen.
Mehr als die Summe der beiden Teile
In unserem Elektrospray-Ionenstrahldepositions-Experiment sind mit Massenspektrometrie und Rastertunnelmikroskopie zwei atomar auflösende Methoden miteinander kombiniert. Vergleicht man die beiden Techniken, so fällt ins Auge, dass die Stärken der einen Methode die Schwächen der anderen auszugleichen vermag. Massenspektrometrie ist eine der zuverlässigsten und genausten Methoden zur Bestimmung der chemischen Zusammensetzung von Molekülen, liefert aber keine direkte Information über deren Struktur. Rastertunnelmikroskopie kann hingegen eine Oberfläche atomar aufgelöst abbilden, ohne aber chemische Information zu liefern. Mit ES-IBD kann also die Strukturinformation aus einem STM-Bild einer im Massenspektrum gefundenen Substanz zugeordnet werden.
Über die Kombination der Methoden hinaus zeigt sich, dass eine Deposition durch die Verwendung geladener Teilchen hervorragend steuerbar ist, wie im Beispiel der Ladungszustände des Cytochrome-c angedeutet. Die derzeitigen Arbeiten nutzen diese Möglichkeiten aus und verwenden Ladung, kinetische Energie und chemische Aktivierung zur Steuerung der Deposition. So hat die Elektrospray-Ionenstrahldeposition das Potenzial, nicht nur analytisch sondern auch bei der Herstellung komplexer, organischer Beschichtungen Neuland zu erschließen und wichtige Beiträge zu leisten.