Spiel der Facetten
Einigen Kristallen, wie zum Beispiel dem Bergkristall, kann man mit bloßem Auge ihre atomare Struktur anhand ihrer Facetten, ansehen. Bei anderen Kristallen sind diese auch mittels Röntgendiffraktion nur schwer zu unterscheiden. Was passiert, wenn man ein zweites Material, Atomposition auf Atomposition, auf solche nur leicht verschiedene Facetten eines Einkristalls aufwächst? Verändern sich die physikalischen Eigenschaften des aufgedampften Materials?
Diesen Fragen sind Forscher des MPI-FKF in ihrer Studie „Imprinted atomic displacements drive spin-orbital order in a vanadate“ nachgegangen, die nun in Nature Physics veröffentlicht wurde. Hierzu haben sie ein sogenanntes Quantenmaterial, YVO3, das im Volumen als Funktion der Temperatur verschiedene magnetische Ordnungsmuster zeigt, als dünnen Film auf zwei verschiedene Facetten von YAlO3 - Substraten aufgewachsen. Die Untersuchung mittels Lichtstreuung hat gezeigt, dass die magnetischen Ordnungsmuster, abhängig von der Facette tatsächlich verschieden sind und dass dies auf den subtilen Unterschied in den Verschiebungen der Y- und O- Atome zurückgeführt werden kann. Dieser grundlegende Effekt kann gezielt für die Stabilisierung von erwünschten funktionellen Phasen eingesetzt werden, zu Beispiel um neuartige Spintronic- oder Solarzellenmaterialien zu kreieren.
Die flexible und vergleichsweise einfache Perowskit-Struktur von Übergangsmetalloxiden ermöglicht die Kombination verschiedener Verbindungen mit ABO3-Zusammensetzung in atomar scharfen epitaktischen Heterostrukturen. Ein Großteil der Forschung in diesem Gebiet konzentriert sich auf die gezielte Manipulation der verschiedenen Quantenphasen durch elektronische und magnetische Rekonstruktionen an Grenzflächen und damit auf die Realisierung neuer Funktionalitäten. Aufgrund der starken Kopplung der elektronischen Freiheitsgrade an das Gitter sind strukturelle Veränderungen gleichermaßen einflussreich. Kleine Verschiebungen der Sauerstoffpositionen können die makroskopischen Eigenschaften entscheidend verändern, beispielsweise durch Änderung der magnetischen Austauschpfade. Die strukturelle Empfindlichkeit wurde im Volumen für verschiedene ABO3-Verbindungen durch die Untersuchung ihrer Phasendiagramme nachgewiesen. Geringe Abweichungen von der idealen kubischen Perowskitstruktur, die durch Heteroepitaxie in dünnen Filmen verursacht werden, sind viel schwieriger zu erkennen, können aber die verschiedenen physikalischen Eigenschaften effektiv verändern. Frühere Studien haben zwar gezeigt, dass die Wahl verschiedener Substratfacetten als Vorlage für das Wachstum von Perowskit-Dünnschichten zu unterschiedlichen physikalischen Eigenschaften führt, es war jedoch nicht möglich, Effekte wie polare Diskontinuität und Veränderungen der biaxialen Spannung klar von den Auswirkungen subtiler Atomverschiebungen von A- und O-Ionen zu trennen.
Die vorliegende Studie zeigt, dass die Richtung solcher Verschiebungen durch Wachstum auf Facetten, die in der kubischen Struktur ununterscheidbar sind, eingestellt werden kann. Der Unterschied in der Richtung der Verschiebungen, die in YVO3-Filmen induziert werden, die auf orthorhombischen (110)- und (001)-Facetten von YAlO3 wachsen, führt zur Stabilisierung verschiedener spin-orbital geordneter Phasen. Die beiden Facetten wurden so gewählt, dass andere bekannte Kontrollparameter, einschließlich der Gitter- und Polaritätsfehlanpassung mit dem Substrat, nahezu unverändert bleiben.
Mittels optischer Methoden konnten die Wissenschaftler Signaturen von orbitaler und magnetischer Ordnung beobachten, die auf unterschiedliche Ordnungsmuster von Spins und Orbitalen auf verschiedenen Facetten hinweisen. Die beobachteten Veränderungen lassen sich durch den Einfluss spezifischer oktaedrischer Rotations- und Kationenverschiebungsmuster, die durch die Substratfacette eingeprägt sind, auf die Kovalenz der Bindungen und die Superaustausch-Wechselwirkungen in YVO3 erklären. Das gezielte Einprägen bestimmter Gitterverzerrungsmustern durch die Wahl der Substrat-Facette stellt einen Weg für das Materialdesign dar, der über die etablierten Strategien hinausgeht.
Diese Arbeit wurde von der Zeitschrift Nature Physics in ihren News & Views hervorgehoben.