Neues vom Rand der Quantenwelt

Forschungsbericht (importiert) 2020 - Max-Planck-Institut für Festkörperforschung

Autoren
Boschker, Hans; Braak, Daniel; Bredol, Philipp; Mannhart, Jochen
Abteilungen
Festkörper-Quantenelektronik
Zusammenfassung

Der Grenzbereich zwischen der Quantenwelt und der Alltagswelt der klassischen Physik erlaubt dieRealisierung von Phänomenen und Bauelementen mit überraschenden, bahnbrechenden Eigenschaften und Funktionen. Die nicht-unitäre Quantenelektronik nutzt diesen Bereich, indem sie gezielt die Entwicklung von Quantenzuständen gemäß der Schrödinger-Gleichung mit Quantensprüngen, der Dekohärenz und dem Kollaps von Quantenwellen kombiniert. Entsprechende elektronische oder photonische Bauelemente verlassen den Rahmen bislang bekannter, grundlegender Gesetze der Physik.

 

 

 

Die Quantenphysik – eine kurze Einleitung


Im Jahr 1900 öffnete Max Planck das Tor zur Quantenphysik. Diese bildet die Grundlage des naturwissenschaftlichen Verständnisses unserer Welt. Zudem nutzt fast jeder Bereich der globalen Wirtschaft die Quantenphysik direkt oder indirekt, wie die moderne Elektronik und das Internet verdeutlichen. Die Welt der Quanten ist bizarr. Beispielsweise verhalten sich alle Teilchen wie Wellen. Diese Wellen, Abbildung 1 zeigt die Welle eines Elektrons, bewegen sich und überlagern sich ganz ähnlich wie Wasserwellen. Diese dynamischen Vorgänge werden exakt durch die ebenfalls in Abbildung 1 wiedergegebene Gleichung beschrieben, die nach ihrem Entdecker Erwin Schrödinger benannt ist.

Die Schrödinger-Gleichung sagt präzise voraus, wie sich Quantenteilchen verhalten, falls sie von ihrer Umgebung isoliert sind. In diesem Fall existieren für die Quantenteilchen keine Ereignisse; die Zukunft ist für sie genauso bestimmt wie die Vergangenheit.

Ist ein Quantenteilchen mit seiner Umgebung in Kontakt, können sogenannte Quantensprünge den eher langweiligen Schrödinger-Alltag der Teilchen unterbrechen. Diese Quantensprünge, man spricht auch von der Dekohärenz oder dem Kollaps der Quantenwellen, treten zufällig auf. Sie sind Ereignisse und beinhalten daher eine Zeitrichtung. Sie unterscheiden somit die Zukunft von der Vergangenheit.

Die Bewegung oder die zeitliche Entwicklung jedes Teilchens wird daher durch zwei ganz unterschiedliche Prozesse beschrieben. Die Teilchen bewegen sich präzise gemäß der Schrödinger-Gleichung, bis zufällig ein Quantensprung auftritt der alles durcheinander würfelt; darauf folgt dann wieder eine Schrödinger-Phase, bis wiederum zufällig gewürfelt wird. Das geht immer so fort.

Folgen die Quantensprünge so dicht aufeinander, dass sie die Bewegung eines Teilchens dominieren, verhält sich das Teilchen wie wir es aus dem Alltag kennen. Der Gegenpol – keine Quantensprünge – ist das Reich der Quanteninformationsverarbeitung. Quanten-Computer müssen beim Rechnen jeden Quantensprung vermeiden.

Nicht-unitäre Quantenelektronik

Im Gegensatz zur Quanteninformationsverarbeitung vereint die von unserer Abteilung entwickelte nicht-unitäre Quantenelektronik die Vorteile beider Prozesse, der Entwicklung gemäß der Schrödinger-Gleichung und der Quantensprünge. Nicht-unitär bedeutet hier „über die Schrödinger-Gleichung hinaus“. Die Kombination der beiden Prozesse erlaubt die Realisierung von Phänomenen und Bauelementen mit überraschenden, bahnbrechenden Eigenschaften. Warum? Manche grundlegenden Gesetze der Physik beruhen auf Annahmen, die für die klassische Alltagsphysik und auch für die von der Schrödinger-Gleichung bestimmte Quantenmechanik gültig sind. Diese Annahmen gelten aber nicht für die Dynamik von Quantenteilchen, die vereinzelt von Quantensprüngen unterbrochen wird. Dies betrifft Quantenteilchen, die sich im Grenzbereich zwischen der Schrödinger-Quantenmechanik und der Alltagswelt bewegen. Deswegen bietet sich mit der nicht-unitären Quantenelektronik eine Chance, altbekannte Gesetze und Grenzen zu überwinden.

Schon elektronische Bauelemente mit nur zwei Anschlüssen liefern hier ein Beispiel. Für solche Bauelemente gilt ein grundlegendes, bislang allgemeingültiges Gesetz, die sogenannte Onsager-Relation [1], für die der norwegische Physiker Lars Onsager 1968 mit dem Nobelpreis geehrt wurde. Diese besagt, dass ein Bauelement mit zwei Kontakten in beide Richtungen gleich gut leiten muss, falls es mit sehr kleinen Strömen betrieben wird. Um Verwirrung zu vermeiden: Dies gilt selbstverständlich auch für Dioden; auch diese richten genügend kleine Ströme nicht gleich. Die Herleitung der Onsager-Relation gilt jedoch nicht, falls die mikroskopischen Naturgesetze die Symmetrie der Zeitrichtung verletzen, also auch dann nicht, wenn Quantensprünge passieren. Folgen nicht-unitäre Quantenbauelemente diesem Gesetz?

Abbildung 2 zeigt einen Quantenring aus einem elektrisch leitenden Material, zum Beispiel aus Silizium, in einem Magnetfeld. Die leichte Asymmetrie des Rings bewirkt, dass gemäß der Schrödinger-Gleichung Elektronen den Ring in A-B Richtung einfach durchlaufen können, in B-A Richtung den Kontakt A aber erst nach einer extra-Runde durch den Ring erreichen. Im Ring ist als Störstelle S ein Cadmium-Atom eingebaut. Da dieses Atom an die Umgebung angekoppelt ist, kann es bei einem vorbeilaufenden Elektron einen Quantensprung auslösen. In diesem Fall vergisst das Elektron seine Laufrichtung und erreicht dann womöglich nicht mehr den angestrebten Kontakt. Deswegen durchlaufen Elektronen den Ring mit größerem Erfolg in A-B Richtung als umgekehrt. Detaillierte Computersimulationen bestätigen diese Überlegung [2]. Sowohl in der reinen Quantenwelt als auch im Bereich der klassischen Alltagsphysik verhalten sich die Ringe wie jeder andere Leiter und gehorchen der Onsager-Relation, am Übergang beider Welten allerdings nicht. Der Ring sortiert die Elektronen gewissermaßen: Er wirkt als Hindernis, das einzelne Teilchen in die eine Richtung leichter passieren lässt als in die andere [2].

Damit weist der Ring ein Verhalten auf, bei dem ein Physiker sofort an einen Maxwellschen Dämon denkt. Die Nichtexistenz solcher Dämonen ist allerdings der Grundstein eines wichtigen Pfeilers der Physik – dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik. Gilt dieser für Bauelemente mit einzelnen Quantensprüngen? Von uns durchgeführte Berechnungen des Verhaltens von Ringen aus chiralen Wellenleitern für Photonen verstärken die Zweifel: Das vorhergesagte Verhalten dieser Photonen stimmt nicht mit dem zweiten Hauptsatz überein [3].

Zukunft

Das Konzept, das Verhalten von Elektronen oder Photonen gezielt sowohl durch die Physik der Schrödinger-Gleichung als auch durch Quantensprünge zu beeinflussen, eröffnet ein neues Forschungsfeld, das unser Verständnis der Quantensprünge, der Dekohärenz und des Kollapses der Quantenwellen vertiefen kann. Gleichzeitig eröffnen sich neue Perspektiven für elektronische und photonische Bauelemente und Quantenmaterialien mit bislang ungeahnten Möglichkeiten [2–4].

Literaturhinweise

1.
Onsager, L.
Reciprocal Relations in Irreversible Processes. I.
Physical Review B 37, 405-426 (1931)
2.
Braak, D.; Mannhart J.
Fermi’s Golden Rule and the Second Law of Thermodynamics
Foundations of Physics 50, 1509-1540 (2020)
3.
Bredol, P.; Boschker, H.; Braak, D.; Mannhart, J.
Quantum Collapses Break Reciprocity in Matter Transport
http://arxiv.org/1912.11948
4.
Mannhart, J.; Bredol, P.; Braak, D.
Phase filters for a novel kind of asymmetric transport – Scientific prospects and opportunities for possible applications
Physica E 109, 198-200 (2019)
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