Higgs-Spektroskopie in Hochtemperatur-Supraleitern
Forschungsbericht (importiert) 2020 - Max-Planck-Institut für Festkörperforschung
Mit der Higgs-Spektroskopie haben wir eine neue Methode zur Untersuchung von Quantenmaterialien, insbesondere von Hochtemperatur-Supraleitern, entwickelt. Dazu regen wir mittels Terahertz-Lasern Higgs-Moden als kollektive Schwingungen eines Supraleiters an. So können wir direkt auf die Dynamik des Supraleiters und dessen Kopplungen an externe Moden zugreifen. Neben neuen Einblicken in die Hochtemperatur-Supraleitung und die Möglichkeit zu deren optischer Kontrolle, lässt sich die Higgs-Spektroskopie als neue Methode auch auf Kondensate in weiteren Quantenmaterialien übertragen.
In Quantenmaterialien existiert eine Vielzahl physikalischer Zustände, die auf dem Zusammenspiel unterschiedlicher Freiheitsgrade in den Materialien basieren. Das Verständnis dieser Wechselwirkungen erlaubt es uns, die Phasenübergänge zwischen den Zuständen zu kontrollieren und damit bestimmte Materialien zu funktionalisieren. Eine besondere Bedeutung kommt hier Kondensaten zu, also Phasen, in denen sich das gesamte System in einem kollektiven Grundzustand befindet. Das wohl bekannteste Beispiel ist die Supraleitung: Je zwei Elektronen bilden sogenannte Cooper-Paare, die dann in einen gemeinsamen Grundzustand kondensieren. Dies führt unter anderem zu der faszinierenden Eigenschaft des verlustfreien Stromtransports.
Für konventionelle Supraleiter, in denen dieses Phänomen unterhalb einer sehr tiefen Sprungtemperatur einsetzt, ist der Mechanismus der Cooper-Paarbildung verstanden. Für die Klasse der Hochtemperatur-Supraleiter ist der Mechanismus trotz intensiver Forschung jedoch noch nicht geklärt. Wir haben nun am Max-Planck-Institut für Festkörperforschung eine neue Spektroskopie realisiert, die uns neue Einblicke in die intrinsische Dynamik der Cooper-Paare insbesondere in Hochtemperatur-Supraleitern gewährt.
Higgs-Spektroskopie
Die Methode basiert auf einer Schwingungsanregung des sogenannten Ordnungsparameters. Dieser misst, wie tief sich ein System in einer bestimmten Phase befindet: Im Fall eines Supraleiters ist dies die Dichte der Cooper-Paare im Kondensat. Um die Dynamik des Supraleiters zu verstehen, interessieren wir uns daher für das kollektive Schwingungsverhalten der Cooper-Paare. Da das Kondensat der Cooper-Paare in Analogie zum Standardmodel der Teilchenphysik auch als Higgs-Feld verstanden werden kann, nennt man die kollektiven Anregungen der Cooper-Paare auch Higgs-Moden. Eine solche Higgs-Schwingung ist in Abbildung 1 veranschaulicht.
Die Analyse der Higgs-Moden erlaubt uns nun die komplette Charakterisierung der Dynamik des supraleitenden Kondensats [1, 2]. Vereinfacht geschieht dies analog zur Raman-Spektroskopie von Gitterschwingungen (Phononen), die uns Dynamik und Symmetrie eines Kristallgitters eröffnet. Zusammen mit Theoretikern am Institut und innerhalb des Max Planck–UBC–UTokyo Centers für Quantenmaterialien haben wir eine Klassifizierung möglicher Higgs-Moden in Supraleitern, unter anderem für die wichtige Klasse der Kuprat-Hochtemperatur-Spraleiter, erstellt [1].
Experimentelle Anregung von Higgs-Moden durch THz-Laser
Neben der Idee zur Higgs-Spektroskopie stellt sich die Frage nach deren experimenteller Realisierung. Innerhalb des MP–UBC–UTokyo Centers forschen wir mit Partnern der University of Tokyo nach Möglichkeiten zur Anregung von Higgs-Schwingungen in Supraleitern. Anders als die Phononen in der oben erwähnten Spektroskopie der Gitterschwingungen koppeln die Cooper-Paare nicht direkt an das Licht. Man benötigt eine Kopplung höherer Ordnung: Vereinfacht regen zwei Lichtteilchen (Photonen) eine Higgs-Schwingung an (ein Photon pro Elektron des Cooper-Paars). Dies lässt sich durch Laserlicht hoher Intensität realisieren. Allerdings führt ein Laser im sichtbaren oder infraroten Bereich durch seine hochenergetischen Photonen sofort zu einem Aufbrechen der Cooper-Paare und einem Aufheizen des Supraleiters. Die Lösung ist ein Terahertz-Laser, der niederenergetische Photonen aussendet und gezielt auf die Higgs-Moden abgestimmt werden kann. Diesen setzen wir sowohl im Labor als auch an Großforschungsanlagen ein.
Higgs in Hochtemperatur-Supraleitern
Insbesondere in hochtemperatur-supraleitenden Kupraten zeigt -sich, dass die Higgs-Moden durch Wechselwirkungen mit nicht gepaarten Elektronen sehr stark gedämpft werden. Daher müssen die Schwingungen kontinuierlich mit einem sehr hohen Terahertz-Feld angetrieben werden. Ein solches Experiment haben wir an der Hochfeld-Terahertz-Quelle TELBE des Helmholtz Zentrums Dresden Rossendorf realisiert [2].
Abbildung 1 skizziert, wie ein Cooper-Paar durch einen Terahertz-Puls der Frequenz ω angetrieben wird. Die angeregte Higgs-Schwingung führt nun zur Emission einer Terahertz-Strahlung mit der dreifachen Frequenz 3ω . Die experimentelle Messung der beiden Lichtfelder mit ω und 3ω ist in Abbildung 2 gezeigt: Die Spektroskopie des 3ω Terahertz-Lichtes in Amplitude und Phase als Funktion der Temperatur erlaubt nun Rückschlüsse auf die Cooper-Paar Dynamik.
Für unterschiedliche Familien der Kuprat-Hochtemperatur-Supraleiter konnten wir so nicht nur die oben erwähnte starke Dämpfung der Higgs-Schwingungen nachweisen, sondern auch eine Kopplung einer externen Mode direkt an das supraleitende Kondensat [2]. Mit weiterführenden Messungen wollen wir nun diese Mode identifizieren und den Einfluss auf die Hochtemperatur-Supraleitung besser verstehen. Weiterhin konnten wir oberhalb der Sprungtemperatur Hinweise für bereits vorgepaarte Elektronen finden, die jedoch noch kein supraleitendes Cooper-Paar bilden [2]. Ob diese Paare nun intrinsisch in Kupraten vorhanden sind oder durch die starken Laserfelder induziert werden, müssen laufende Experimente zur optischen Kontrolle zeigen. Dies ist insbesondere im Zusammenhang mit lichtinduzierter Supraleitung in Kupraten, bis hin zur Raumtemperatur, relevant [3].
Higgs in Quantenmaterialien
Neben Supraleitern lässt sich die Higgs-Spektroskopie auch auf weitere Quantenmaterialien erweitern. So konnten wir durch die Existenz von Higgs-Moden die Realisierung eines exzitonischen Isolators, ein Kondensat von Exzitonen, in dem Halbleiter Ta 2NiSe5 nachweisen [4]. Deren Kopplung an Gitterverzerrungen nennt man polaronische Komplexe, die das Kondensat sogar oberhalb der Raumtemperatur stabilisieren [4, 5].
Wir arbeiten auch daran, Higgs-Anregungen mit weiteren Spektroskopiemethoden zu kombinieren. Beispielsweise erlaubt winkelaufgelöste Photoemission, die wir zusammen mit Partnern an der UBC Vancouver im Rahmen des MP–UBC–UTokyo Centers betreiben, neben dem bisherigen Frequenzraum auch eine Auflösung im Impulsraum. Das wird uns in Zukunft einen noch tieferen Einblick in die Physik der Kondensate ermöglichen.