Suche nach neuen Hochtemperatur-Supraleitern: Hinweise aus der Theorie

Forschungsbericht (importiert) 2009 - Max-Planck-Institut für Festkörperforschung

Autoren
Andersen, Ole Krogh
Abteilungen
Abteilung Andersen (Theorie) (Prof. Dr. Ole Krogh Andersen)
MPI für Festkörperforschung, Stuttgart
Zusammenfassung
Die Entdeckung neuer Supraleiter geschah fast immer empirisch, oft völlig unerwartet, und die Suche nach Materialien, die bei Raumtemperatur supraleitend sind, ist eine enorme Herausforderung. Der Mechanismus der Hochtemperatur-Supraleitung in Kupraten ist noch nicht verstanden; es wurde aber eine Korrelation zwischen gemessenen Sprungtemperaturen und berechneten Energieband-Dispersionen festgestellt. Deshalb versucht man, Materialien mit „besseren“ Bandstrukturen herzustellen. Künstliche Heterostrukturen bestehend aus Nickelaten und isolierenden Oxiden scheinen hierbei Erfolg versprechend.

Einleitung

Supraleitung ist ein makroskopischer Quanteneffekt. Kühlt man ein supraleitendes Material auf eine Temperatur unterhalb der sogenannten Sprungtemperatur Tc ab, so verschwindet der elektrische Widerstand, und der Strom kann verlustfrei fließen. Dieser Effekt wurde vor fast 100 Jahren entdeckt, dann an vielen Metallen beobachtet, aber erst 50 Jahre später durch die Theorie von Bardeen, Cooper und Schrieffer (BCS) erklärt: Im supraleitenden Zustand sind die Ladungsträger Paare von Elektronen, die dadurch zusammengehalten werden, dass das erste Elektron beim Vorbeifliegen eines positiven Ions dieses aus seiner Kristallgitterposition ein bisschen auslenkt und dadurch das zweite Elektron anzieht. Im Gegensatz zu einzelnen Elektronen, die als Fermionen nicht denselben Quantenzustand besetzen können, sind Cooper-Paare Bosonen. Bosonen können alle den Grundzustand besetzen, sodass die Gesamtwellenfunktion den ganzen Festkörper umspannt und damit unempfindlich ist gegenüber lokalen Verunreinigungen und Fehlstellen.

Im Laufe der Jahre wurden große Anstrengungen unternommen, um neue Verbindungen zu finden, die sich durch ein möglichst hohes Tc auszeichnen. Denn um die Vorteile der verlustfreien Stromleitung technisch auszunutzen, muss man den Supraleiter unterhalb von Tc halten, und das Kühlen fällt umso leichter, je höher Tc ist. Typische Sprungtemperaturen für elementare Metalle liegen jedoch unterhalb von 10 K, was -273+10 = -263°C entspricht und aufwändige Kühlung mit flüssigem Helium erfordert. Mit der BCS-Theorie und deren Weiterentwicklungen konnte man viele exotische Eigenschaften eines Supraleiters qualitativ erklären, Tc jedoch quantitativ nicht berechnen, und die Suche nach neuen supraleitenden Verbindungen verlief nach empirischen Regeln. So wurde allmählich ein Tc von 23 K erreicht.

Überraschende Supraleiter

Diesen Regeln nicht folgend, fanden Bednorz und Müller 1986 in perovskitischen, fast 2-dimensionalen Kupraten Supraleitung unterhalb von 35 K. Kurze Zeit später wurden Kuprate synthetisiert, die bereits durch Kühlung mit flüssigem Stickstoff Supraleitung zeigen (Tc > 77 K). Im Jahre 1993 wurde 150 K in HgBa2Ca2Cu3O8 erreicht. Seitdem konnte kein höheres Tc gemessen werden und der Mechanismus der Paarung in den Kupraten bleibt unverstanden. Der BCS-Elektron-Phonon-Mechanismus allein kann jedoch ausgeschlossen werden.

Die nächste Überraschung folgte 2001: Die seit langem bekannte binäre Verbindung MgB2 wird unterhalb von 40 K supraleitend. Die B2-Teilstruktur ist Graphit und Mg ist in den hexagonalen Löchern zwischen den Schichten interkaliert. Wie Graphit hat MgB2 vier Valenz-Elektronen pro B-Atom. In Graphit bilden drei Elektronen des Kohlenstoffs sp2-σ-Bindungen und das vierte Elektron eine pz-π-Bindung. Solange die zwei π-Bänder sich in der Bandlücke zwischen den bindenden und antibindenden σ-Bändern kreuzen, ist das Fermi-Niveau an dieses sogenannte Dirac-Kreuz gebunden. Das Besondere bei MgB2 ist aber, dass die interkalierten Mg++-Ionen pz-Elektronen viel stärker anziehen als sp2-Elektronen, was darin resultiert, dass das Dirac-Kreuz unterhalb der Oberkante des bindenden σ-Bandes liegt. Die dadurch entstandenen σ-Löcher koppeln zu Streckschwingungen der starken sp2-Bindungen; durch diese Elektron-Phonon-Wechselwirkung wird Supraleitung bis 40 K möglich. Dies wurde mithilfe der Theorie kurz nach der Entdeckung der Supraleitung in MgB2 geklärt [1, 2]. Als deutlich wurde, dass der konventionelle Elektron-Phonon-Mechanismus – in einer Verbindung, die den Regeln der 60er- und 70er- Jahre nicht folgt – Supraleitung mit deutlich höherem Tc verursacht, wurde versucht, Ladungsträger in den sp3-Bindungen des Diamants (ein Isolator!) zu dotieren. Es wurde tatsächlich Supraleitung gefunden, allerdings nur unterhalb von 4 K. Danach war es ein Leichtes, die Sprungtemperaturen von lochdotiertem Silizium und Germanium vorauszusagen [3]. Die Ursache für die niedrigen Tc's, trotz der sehr starken sp3-Bindungen, liegt darin, dass es bis jetzt nicht gelungen ist, die Lochdotierung entsprechend zu erhöhen ohne die Diamantstruktur zu zerstören. Obwohl die Supraleitung vom Typ MgB2 voll verstanden und berechenbar ist, wurde seit 2001 kein verwandtes Material mit höherem Tc als bei MgB2 gefunden. Dieses sollte aber in Anbetracht der Reife der organischen Synthese und der schnellen Entwicklung der Forschung auf dem Gebiet der Kohlenstoffnanoröhren möglich sein, die bis jetzt nur π- aber keine σ-Ladungsträger hervorgebracht haben.

Die neueste Überraschung kam 2008, als supraleitende Eisenarsenide und Eisenchalkogenide mit Sprungtemperaturen bis zu 55 K entdeckt wurden. Wie bei den Kupraten ist das Fe-Kristallgitter quadratisch. Jedes Fe ist aber tetraedrisch von As oder Se umgeben, während in den perovskitischen Kupraten jedes Cu planar quadratisch oder gestreckt oktaedrisch von O umgeben ist. Analog zu den Kupraten haben Berechnungen für Eisenpniktide gezeigt, dass die Elektron-Phonon-Wechselwirkung nicht allein die Ursache der Supraleitung sein kann [4]. Spindichtewellen scheinen eine Rolle zu spielen [5], aber trotz intensivstem Forschungsaufwand bleibt der Mechanismus ein Rätsel.

Wir sehen also, dass die Suche nach neuen Supraleitern mit zunehmender Häufigkeit Überraschungen gebracht hat, dass diese Entdeckungen fast nie von der Theorie vorausgesagt wurden, und dass in jeder neuen Klasse von Supraleitern der Mechanismus ein anderer ist – einmal verstanden, einmal nicht.

Nickelat-Isolator-Heterostrukturen

In den letzten Jahren ist es möglich geworden, Metalloxid-Heterostrukturen gezielt und mit atomarer Genauigkeit herzustellen [6]. Es wurde nun vonseiten der Theorie vorgeschlagen [7, 8], Sandwichstrukturen bestehend aus LaNiO3 (Metall) und LaAlO3 (Isolator) herzustellen und dort nach Hochtemperatur-Supraleitung zu suchen. Um diesen Vorschlag zu verstehen, schauen wir uns zuerst die elektronische Struktur der Kuprate an.

Das gemeinsame Strukturelement aller supraleitenden Kuprate ist eine CuO2-Schicht mit Cu auf einem quadratischen Gitter (grün in Abb. 1 oben links und rechts) und O auf der Verbindungslinie zwischen den nächsten Cu-Nachbarn. Die elektronische Konfiguration ist Cu d9, wobei das 9. Elektron in ein Wannier-Orbital (Abb. 1 oben links oder rechts) geht, das ausgehend von dem zentralen Cu-Platz den folgenden Charakter aufweist: Cu-3d(x2-y2) antibindend zu O-2p(x/y) bindend zu Cu-4s und antibindend zu weiteren O-2p. Obwohl das entsprechende Energieband (Abb. 1 unten) halb gefüllt ist, sind Kuprate wegen der Coulomb-Abstoßung zwischen den Cu-d-Orbitalen Mott-Isolatoren. Mit Dotierung werden sie aber metallisch und sogar supraleitend. Die CuO2-Schicht liegt zwischen zwei AO-Schichten, deren zwei- oder dreiwertige Kationen (A) unter- und oberhalb der Zentren der Kupferquadrate und deren O unter- und oberhalb von Cu liegen. Letztere bilden die Apizes gestreckter CuO6-Oktaeder. Dotierung kann nun darin bestehen, dass ein Teil der dreiwertigen Kationen durch zweiwertige ersetzt werden. Bei einer Dotierung von ≈0,15 Löcher pro Cu wird die maximale Sprungtemperatur Tc,max erreicht. Sie hängt stark von der jeweiligen Verbindung ab (Abb. 1 oben Mitte).

Für größere Lochdotierungen stimmen gemessene Energieband-Dispersionen ε(kx,ky) – abgesehen von einer Skalierung – und Fermiflächen ε(kx,ky) = εF (r dargestellt, der die Variation von einem Kuprat zum anderen widerspiegelt. Mit zunehmendem r-Wert ist die Energie des Sattelpunktes ε(X) nach unten gedrückt, während die Dispersion entlang MΓ (kx = ky) unberührt bleibt. Dafür verantwortlich ist die zunehmende Beimischung zum Wannier-Orbital eines senkrecht zur CuO2-Schicht stehenden axial-symmetrischen, hoch-energetischen Orbitals. Dieses Orbital ist ein Hybrid aus Cu 4s und 3d(3z2-1), Oapex 2p(z), und La 5d(3z2-1) oder Hg 6sp(z). Mit dem r-Wert steigt der Cu-4s-Charakter, wobei das Wannier-Orbital sich in der Schicht ausbreitet und senkrecht dazu schrumpft (Abb. 1 oben links und rechts).

Erstaunlicherweise korrelieren die für alle bekannten Kuprate berechneten r-Werte mit ihren gemessenen Tc,max, wie die schwarzen Quadrate in Abbildung 1 oben Mitte zeigen [9]. Für Kuprate, die mehrere benachbarte CuO2-Schichten ohne dazwischen liegendes Oapex besitzen, korreliert Tc,max nur mit der Linearkombination der Wannier-Orbitale, die zwischen den Schichten am meisten bindet, also wieder mit dem in den Schichten am meisten komprimierten Orbital. Mit mehr als drei Schichten wird Tc,max nicht höher, wahrscheinlich weil die Kohärenz der Cooper-Paare dann verloren geht.

Während in den d9-Kupraten das Cu-(3z2-1)-Orbital voll ist, sind im kubischen LaNiO3 (Abb. 2 oben links) mit der Konfiguration d7 die zwei eg-Orbitale (x2-y2 und 3z2-1) entartet, und jedes ist 1/4 voll. Die berechnete Bandstruktur ε(kx,ky,kz) ist in Abbildung 2 oben rechts zu sehen. Die zwei Bänder sind bis zur Fermienergie (≡0) gefüllt und der (x2-y2)/(3z2-1)-Charakter ist schwarz/gelb gekennzeichnet. Entlang dem ΓZ'- und Z'Z-Pfad steht der Wellenvektor senkrecht zur xy-Ebene und geht von 0 über π/(2a) bis π/a, wobei a die Gitterkonstante ist. Für den Z'RAZ'-Pfad verbleibt kz = π/(2a), und (kx,ky) durchläuft den in Abbildung 1 erwähnten ΓXMΓ-Pfad. Für den ZMRZ-Pfad in Abbildung 2 gilt dasselbe, nur verbleibt hier kz = π/a.

Wenn es nun durch Heterostrukturierung gelingen würde, jede zweite NiO2-Schicht durch AlO2 zu ersetzen (wie unten links in Abb. 2 gezeigt), würden die isolierenden Eigenschaften des LaAlO3, Knoten in den Blochwellen in der Nähe der AlO2-Schicht erzwingen und damit den kz~0-Teil des (3z2-1)-Bandes versperren. Die Bandstruktur sollte dann in etwa so aussehen wie die des LaNiO3 für kz = π/(2a). Dass dies tatsächlich der Fall ist, zeigt die für das LaNiO3/LaAlO3-Supergitter berechnete Bandstruktur in Abbildung 2 unten Mitte. Hier existiert das obere, (3z2-1)-ähnliche Band fast nur oberhalb der Fermienergie und die Einbeziehung der Coulomb-Korrelationen in die Bandstrukturberechnung mittels der sogenannten Dynamischen Meanfield Näherung (DMFT) führt tatsächlich zu einer kompletten Entleerung dieses Bandes. Das untere, halb-besetzte Band ist in der Nähe der Fermienergie (x2-y2)-ähnlich wie in den Kupraten, aber mit Ni-3d(3z2-1) statt Cu-4s als axiales Orbital. An dem Punkt, wo das obere Band sich entleert, beträgt der r-Wert 0,5; dies entspricht gemäß Abbildung 1 sehr hohen Tc,max-Werten.

In der Realität werden sicherlich andere, nicht supraleitende Phasen, sowie Ladungs- und Spindichtewellen sich durchsetzen, und für das LaNiO3/LaAlO3-Supergitter zeigen weitergehende Rechnungen tatsächlich, dass die Hund'sche Kopplung zur Disproportionierung (2d7d6+d8) führt. Um dieses zu verhindern, ist es wichtig, den r-Wert für das untere Band kontrollieren zu können, z. B. durch Verwendung eines anderen Isolators. Dass dies zutrifft, zeigt die (ohne Berücksichtigung der Coulomb-Korrelationen) berechnete Bandstruktur des LaNiO3/DyScO3-Supergitters (Abb. 2 unten rechts), die in etwa der LaNiO3-Bandstruktur für kz = π/a entspricht und damit ein deutlich kleinerer r-Wert (≈0,45) als für das Aluminat erreicht wird. Die Instabilität, die man mit zunehmenden Coulomb-Korrelationen für das undotierte Scandat findet, ist keine Disproportionierung sondern Antiferromagnetismus wie bei den Kupraten und scheint für die Suche nach einem höheren Tc vielversprechend zu sein.

Die experimentelle Herausforderung ist nun, Heterostrukturen mit nur einer NiO2-Schicht herzustellen, denn mit mehr werden (3z2-1)-Zustände wieder besetzt.

Originalveröffentlichungen

1.
J. Kortus, I. I. Mazin, K. D. Belashchenko, V. P. Antropov, L. L. Boyer:
Superconductivity of metallic boron in MgB2.
Physical Review Letters 86, 3400-3403 (2001).
2.
Y. Kong, O. V. Dolgov, O. Jepsen, O. K. Andersen:
Electron-phonon interaction in the normal and superconducting states of MgB2.
Physical Review B 64, 020501 (2001).
3.
L. Boeri, J. Kortus, O. K. Andersen:
Three-dimensional MgB2-type superconductivity in hole-doped diamond.
Physical Review Letters 93, 237002 (2004).
4.
L. Boeri, O. V. Dolgov, A. A. Golubov:
Is LaFeAsO1-xFx an electron-phonon superconductor?
Physical Review Letters 101, 026403 (2009).
5.
A. N. Yaresko, G.-Q. Liu, V. N. Antonov, O. K. Andersen:
Interplay between magnetic properties and Fermi surface nesting in iron pnictides.
Physical Review B 79, 144421 (2009).
6.
B. Keimer, H.-U. Habermeier:
Elektronische Eigenschaften von Metalloxid-Grenzflächen.
Jahrbuch der MPG 2007.
7.
J. Chaloupka, G. Khaliullin:
Orbital Order and Possible Superconductivity in LaNiO3/LaMO3 Superlattices.
Physical Review Letters 100, 016404 (2008).
8.
P. Hansmann, XP. Yang, A. Toschi, G. Khaliullin, O. K. Andersen, K. Held:
Turning a Nickelelate Fermi Surface into a Cupratelike One through Heterostructuring.
Physical Review Letters 103, 016401 (2009).
9.
E. Pavarini, I. Dasgupta, T. Saha-Dasgupta, O. Jepsen, O. K. Andersen:
Band-structure trend in hole-doped cuprates and correlation with Tc max.
Physical Review Letters 87, 047003 (2001).
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