Magnetische Anregungen in Mikrokristallen
Forschungsbericht (importiert) 2019 - Max-Planck-Institut für Festkörperforschung
Ein neuartiges Röntgen-Spektrometer erlaubt präzise Untersuchungen kollektiver Anregungen in Quantenmaterialien, auch wenn diese nur in mikrokristalliner Form hergestellt werden können. Erste Experimente mit diesem am MPI für Festkörperforschung entwickelten Instrument liefern eine mikroskopische Erklärung für die außerordentlich hohe magnetische Ordnungstemperatur einer Ruthenium-Verbindung, deren Ursprung zuvor rätselhaft war. Diese Ergebnisse eröffnen vielfältige neue Perspektiven für die Erkundung mikroskopischer Wechselwirkungen und kollektiver Quantenphänomene in Festkörpern.
Verbindungen von Ruthenium und anderen Metallen mit Valenzelektronen in der 4 d-Elektronenschale sind von großer Bedeutung für viele Bereiche der Materialwissenschaft, von der Oxid-Elektronik [1] bis hin zur Katalyse [2]. Sie dienen überdies als Plattform für die Untersuchung kollektiver Quantenphänomene in Festkörpern. Dazu gehören neben Magnetismus und Supraleitung auch Festkörper-Analogien des Higgs-Bosons in der Elementarteilchenphysik, welche kürzlich in Ruthenium-Verbindungen entdeckt wurden [3]. Diese Phänomene entstehen durch das Zusammenspiel verschiedener mikroskopischer Wechselwirkungen wie beispielsweise der Spin-Spin- und Spin-Bahn-Wechselwirkungen der Valenzelektronen, die für den Magnetismus verantwortlich sind.
Da die Stärken dieser Wechselwirkungen jedoch nur unzulänglich bekannt sind, sind die Mechanismen der Quantenphänomene in 4d-Metallverbindungen bisher noch weitgehend ungeklärt. Spektroskopische Messungen der Wechselwirkungsparameter werden dadurch erschwert, dass sich genügend große Einkristalle vieler dieser Verbindungen nicht herstellen lassen. Messungen an polykristallinen Proben liefern hingegen nur unzureichende Informationen.
Resonante Röntgenstreuung
Eine neue spektroskopische Methode, die resonante inelastische Röntgenstreuung (auf Englisch „Resonant Inelastic X-ray Scattering“, RIXS), räumt diese Schwierigkeiten elegant aus dem Weg. Dazu wird die Energie von Röntgenphotonen aus einer Synchrotron-Quelle genau an die Energiedifferenz zwischen einer inneren Elektronenschale eines chemischen Elements und dem Energieniveau der Valenzelektronen angepasst. Durch die „resonante“ Absorption dieser Photonen lässt sich ein Elektron aus der inneren Schale auf die Energie des Valenzelektronensystems anheben und dort eine Anregung erzeugen (Abb. 1(a)). Wenn das Elektron danach unter Emission eines Photons wieder in die innere Schale zurückfällt, hinterlässt es diese Anregung im Festkörper, und aufgrund des Energieerhaltungssatzes ist die Energie des emittierten Photons reduziert. Aus der Energie und Bewegungsrichtung des emittierten Photons können Experimentatoren dann die Energie-Impuls-Beziehung der Anregung – die sogenannte „Dispersion“ – bestimmen.
Unserem Team vom Max-Planck-Institut für Festkörperforschung ist es nun gelungen, am PETRA-III-Synchrotron des Forschungszentrums DESY das erste RIXS-Spektrometer für Materialien mit 4d-Valenzelektronen aufzubauen (Abb. 1(b)). Die Präzisionsoptik unseres Spektrometers besteht aus einem „Monochromator“, um die Energie der Röntgenphotonen zu justieren, einem Spiegelsystem, um den Röntgenstrahl auf die Probe zu fokussieren, einem „Analysator“, um die Energie und Richtung der gestreuten Photonen zu bestimmen, und einer CCD-Kamera, um diese Photonen einzufangen. Der einfallende Strahl wird dabei so genau auf die Probe fokussiert, dass sich Messungen auch an Mikrokristallen durchführen lassen, die für das bloße Auge nicht sichtbar sind. Da sich Mikrokristalle vieler komplexer Verbindungen relativ einfach herstellen lassen, ist die RIXS-Methode weitaus breiter einsetzbar als andere spektroskopische Techniken, die sehr viel größere Kristalle benötigen.
Magnetische Anregungen in einem Hochtemperatur-Antiferromagneten
Um die Leistungsfähigkeit unseres neuen Spektrometers auszuloten, führten wir hochauflösende RIXS-Messungen an einem Mikrokristall der Verbindung SrRu2O6 durch, deren antiferromagnetische Ordnung bis zu einer außerordentlich hohen Temperatur von TC = 560 Kelvin stabil ist [4]. In SrRu2O6 sind die magnetischen Ru-Spins auf einem zweidimensionalen „Honigwaben“-Gitter angeordnet (Abb. 2(a)); die Sr- und O-Atome sind nichtmagnetisch. In zweidimensionalen Spinsystemen sind thermische Fluktuationen besonders ausgeprägt und führen üblicherweise zu einer starken Reduktion von TC. Zur Erklärung der hohen Ordnungstemperatur von SrRu2O6 wurden daher starke Spin-Spin-Wechselwirkungen vorhergesagt, die zudem eine lange Reichweite haben – das heißt jeder Ru-Spin interagiert mit mehreren anderen Spins auf dem Honigwaben-Gitter.
Die Wechselwirkungen zwischen Spins lassen sich durch Messungen der Dispersion von magnetischen Anregungen bestimmen. Insbesondere können in einem Antiferromagneten sogenannte „Spinwellen“ angeregt werden, bei denen alle Spins um ihre Vorzugsrichtung präzedieren. Die Stärke und Reichweite der Spin-Spin-Wechselwirkungen lassen sich aus der maximalen Spinwellen-Energie beziehungsweise der funktionalen Form der Spinwellen-Dispersion ablesen. Abbildung 2(b) zeigt die aus unseren RIXS-Daten extrahierte Dispersion von Spinwellen in SrRu2O6 [5]. Im Einklang mit den theoretischen Vorhersagen ist die maximale Spinwellen- Energie (etwa 200 Millielektronvolt) tatsächlich viel größer als in gewöhnlichen Antiferromagneten. Allerdings stimmen die Messdaten nahezu perfekt mit Modellrechnungen überein, die eine Wechselwirkung ausschließlich zwischen direkt benachbarten Ru-Spins annehmen. Die Reichweite ist also deutlich geringer als vorhergesagt. Die Messdaten liefern aber auch zugleich eine alternative Erklärung der hohen Ordnungstemperatur. Die Spinwellen weisen nämlich eine hohe Minimalenergie von rund 40 Millielektronvolt auf, die auf die Spin-Bahn-Kopplung der Ru-Spins zurückzuführen ist und thermische Anregungen stark vermindert. Tatsächlich konnten wir zeigen, dass die gemessene Spinwellen-Dispersion die hohe Ordnungstemperatur quantitativ erklärt [5].
Diese Experimente etablieren RIXS als eine äußerst leistungsfähige, vielseitig anwendbare Methode zur Untersuchung mikroskopischer Wechselwirkungen und kollektiver Quantenphänomene in einer großen Klasse von Verbindungen mit 4d-Valenzelektronen.