Oxidelektronik
Forschungsbericht (importiert) 2014 - Max-Planck-Institut für Festkörperforschung
Zum Bau integrierter Schaltungen werden auffallend wenige chemische Elemente eingesetzt. Die verwendeten Elemente sind typischerweise die Elemente mit offenen p-Elektronenschalen, zu denen beispielsweise die klassischen Halbleiter Silizium und Germanium gehören. Die Elektronensysteme dieser Halbleiter zeichnen sich durch breite Energiebänder aus; dies sind Energiebereiche, in denen sich die Elektronen bewegen können. Dies hat eine wichtige quantenphysikalische Konsequenz für die gegenseitige Kopplung der Elektronen: Wie zu erwarten, wechselwirkt aufgrund der elektrostatischen Abstoßung ein Elektron mit seinen elektronischen Nachbarn stark. Da es jedoch sehr viele Elektronen gibt, die zudem breite Energiebänder bevölkern, nimmt ein willkürlich gewähltes Elektron seine Nachbarn nicht als einzelne Teilchen, sondern überraschenderweise nur als konturlose, im Raum verschmierte Teilchenmenge wahr.
Die Natur bietet nun aber viel mehr chemische Elemente als letztendlich in den integrierten Schaltungen eingesetzt werden, zum Beispiel Elemente mit nur teilweise gefüllten d- oder f-Elektronenschalen. In diesen Elementen oder in deren Verbindungen, wie beispielsweise den Oxiden der Übergangsmetalle, sind die Energiebänder der Elektronen signifikant schmaler als bei den klassischen Halbleitern. Mit als Folge dessen tauschen in diesen Materialien die Elektronen mit ihren Nachbarn explizit Informationen aus und organisieren sich auf komplexe Weisen (meistens jedenfalls; es gibt aber durchaus Elektronensysteme mit schmalen Energiebändern, die auch langweilig sind).
Solche sogenannten korrelierten Elektronensysteme können wegen ihrer Komplexität ganz andere Funktionen ausüben als gewöhnliche Halbleiter [1]. Die korrelierten Elektronensysteme mögen zum Beispiel magnetisch oder supraleitend sein und dabei Eigenschaften besitzen, die sich elektronisch einfach und abrupt umschalten lassen. Wissenschaftler der Abteilung „Festkörper-Quantenelektronik“ versuchen zu verstehen, ob sich diese komplexen Materialien mit ihren spannenden, funktionalen Eigenschaften für Bauelemente nutzen lassen. Ist es zum Beispiel möglich, aus komplexen Oxiden Transistoren herzustellen oder durch die Kombination solcher Oxide mit Silizium-Transistoren die Grenzen der heutigen Elektronik zu sprengen?
Dank ihrer zentralen Wichtigkeit wird die Idee von Transistoren aus komplexen Oxiden schon seit Jahrzehnten verfolgt [1, 2]. Bislang war es allerdings nie gelungen, Transistoren herzustellen, die Spannungssignale verstärken können, und es schien durchaus möglich, dass die Bewegung von Sauerstoffionen in den Oxiden sowie die große Zahl anderer Defekte der Kristallgitter die Herstellung zuverlässiger Transistoren prinzipiell verhindern könnte.
Herstellung neuartiger Chips mit atomarer Präzision
Um oxidische Bauelemente herstellen zu können, wurde eine neuartige Depositionsanlage zum epitaktischen Wachstum komplexer Heterostrukturen konzipiert und aufgebaut (Abb. 1). Diese Laser-basierte Anlage gestattet das Wachstum von Materialien aus einer Vielzahl von Elementen. Das System ist auf die Herstellung möglichst reiner Multilagenstrukturen mit atomar präziser Kontrolle der Schichtdicken optimiert. Dabei können sehr viele Materialien synthetisiert werden, die spannende elektronische Eigenschaften – wie zum Beispiel elektronische Korrelationen – aufweisen. In Verbindung mit dem Nanostrukturlabor des Instituts ist es hierbei möglich, Bauelemente mit charakteristischen Längen von einigen zehn Nanometern herzustellen.
Die ersten Transistoren aus komplexen Oxiden
Die Fragen, die beantwortet werden müssen, bevor die Herstellung von Elektronik aus komplexen Oxiden angepackt werden kann, lauten: Lassen sich diese Oxide zur Herstellung zuverlässiger Transistoren verwenden? Können oxidische Transistoren mit einer brauchbaren Verstärkung denn überhaupt gebaut werden?
Um oxidische, vorzugsweise Feldeffekttransistoren (FETs) mit einem hohen Verstärkungsfaktor herzustellen, müssen oxidische Leiter gefunden werden, deren Leitfähigkeit sich mittels kleiner elektrischer Spannungen hochgradig empfindlich beeinflussen lässt. Hierfür sind zweidimensionale Elektronensysteme vielversprechende Kandidaten. Diese Elektronensysteme sind erstens offensichtlich extrem dünn und können daher leicht von elektrischen Feldern durchdrungen werden. Zweitens sind sie – abhängig von der Dichte vorhandener Elektronen – Metalle oder Isolatoren und können daher sogar im Prinzip zur Realisierung von Transistoren verwendet werden, die Phasenumwandlungen ausnutzen. Ultradünne, zweidimensionale Elektronensysteme werden von der Natur an bestimmten Grenzschichten in oxidischen Heterostrukturen erzeugt [3].
In der Tat konnte die zweidimensionale Elektronenflüssigkeit, die an der Grenzfläche der beiden Isolatoren LaAlO3 und SrTiO3 erzeugt wird (Abb. 2), erfolgreich als Kanalmaterial zur Herstellung von FETs eingesetzt werden (Abb. 3) [4]. Diese Transistoren weisen sogar eine besonders hohe Verstärkung auf, da das zweidimensionale Elektronensystem in Materialien mit hohen Dielektrizitätskonstanten (≈24 für LaAlO3 und ≈300 für SrTiO3) eingebettet ist. Der Testbetrieb ergab zudem, dass diese Transistoren erstaunlich robust sind; Materialdefekte und auch die Diffusion von Sauerstoffionen stellen keine Probleme dar. Es scheint fast, als ob oxidische Elektronik sogar unempfindlicher gegenüber manchen Materialdefekten ist, als man es von den klassischen Halbleitern gewohnt ist.
Die ersten integrierten Schaltungen aus komplexen Oxiden
Die Eigenschaften und die Reproduzierbarkeit dieser FETs sind so hervorragend, dass die Transistoren ohne Weiteres miteinander verknüpft und komplette integrierte Schaltungen hergestellt werden können. Da die FETs bisher ausschließlich als n-Kanal-Transistoren realisiert wurden, wurden die integrierten Schaltungen in der sogenannten NMOS-Technologie aufgebaut, die beispielsweise auch für frühe Apple Computer zum Einsatz kam. Um die Leistungsfähigkeit der komplexen Oxide zu testen, wurden für die Herstellung der Schaltungen ausnahmslos Oxide eingesetzt, also beispielsweise auch zum Bau der Leiterbahnen und Widerstände [5]. Auf einem 10×10 mm2 großen SrTiO3 Chip wurden 6 Ringoszillatoren mit insgesamt 48 Transistoren realisiert (Abb. 3). Die FETs dieser Oszillatoren haben eine kleinste Strukturgröße von 40 μm. Für integrierte Schaltungen sind sie also riesengroß. Dass auch kleine Transistoren hergestellt werden können, illustriert Abbildung 4. Sie zeigt einen Chip, auf dem hunderttausende Transistoren, deren Kanallängen teilweise unter 100 nm liegen, integriert sind. Die Grenzen der Integration sind hier noch lange nicht erreicht.
Zukunft
Aufgrund ihrer funktionalen Eigenschaften bieten komplexe Oxide und andere Materialien mit korrelierten Elektronensystemen fantastische Möglichkeiten zur Realisierung künftiger elektronischer Schaltungen, idealerweise mit gewöhnlichen Silizium-Transistoren in einer gemeinsamen Architektur kombiniert. Auch für die Grundlagenforschung bleibt es spannend, da mit der Verfügbarkeit atomar genau gebauter Multilagen aus vielen Elementen neue Elektronensysteme mit Eigenschaften synthetisiert werden können, welche die Natur bisher nicht realisiert hat.