Festkörper unter hohem Druck
Forschungsbericht (importiert) 2004 - Max-Planck-Institut für Festkörperforschung
Experimente unter hohem Druck
Für Experimente bei hohen Drücken benutzen wir vorwiegend die Diamantfenster-Druckzelle. Die schematische Darstellung in Abbildung 1 verdeutlicht das einfache Prinzip, mit dem sich statische Drücke bis in den Megabar-Bereich (1 Megabar ≡ 100 Gigapascal) erzeugen lassen. Diamant benutzt man als Stempelmaterial zum einen wegen seiner großen Härte und Druckfestigkeit sowie der niedrigen Kompressibilität. Zum anderen ist Diamant transparent über weite Bereiche des elektromagnetischen Spektrums, insbesondere auch für Infrarot- und harte Röntgenstrahlung. Wichtige Anwendungsgebiete sind Strukturuntersuchungen und die Spektroskopie von Festkörperanregungen. Je nach Druckbereich variiert die Größe der zu untersuchenden Probe zwischen 20 μm und 100 μm. Die hohe Brillanz von Synchrotronstrahlung ist für die Spektroskopie mit Infrarot- und Röntgenstrahlung wie auch für Strukturuntersuchungen unentbehrlich. Ein Großteil der hier vorgestellten experimentellen Arbeiten wurde daher an der Europäischen Synchrotron-Strahlungsquelle (ESRF) in Grenoble und an der Angströmquelle Karlsruhe (ANKA) durchgeführt.
Übergangsmetalloxide
Viele Übergangsmetalloxide zeichnen sich durch besonders starke Wechselwirkungen zwischen den Elektronen aus. Diese Elektron-Elektron-Korrelationen führen zu außerordentlich vielfältigen physikalischen Eigenschaften, wobei ungewöhnliche elektrische und magnetische Phänomene von besonderem Interesse für die Festkörperforschung sind. Die Beispiele für interessante Übergangsmetallverbindungen reichen von den Hochtemperatur-Supraleitern auf Kupferoxidbasis bis hin zu Kobaltaten, die industriell in Lithium-Ionen-Akkumulatoren verwendet werden. Hochdruckexperimente bieten eine Möglichkeit, die physikalischen Eigenschaften von Übergangsmetalloxiden systematisch zu verändern, ohne sie chemisch zu modifizieren. Dabei nutzt man aus, dass viele Vertreter dieser Materialklasse ein empfindliches Wechselspiel zwischen den Freiheitsgraden der Kristallstruktur, der elektrischen Ladung, der Elektronenspins und der Elektronenorbitale zeigen.
Als Beispiele betrachten wir hier die Seltenerdtitanate YTiO3 und LaTiO3. Beide kristallisieren in einer perowskitartigen Struktur, die in Abbildung 2 gezeigt ist. Das Vorhandensein eines einzelnen 3d-Valenzelektrons je Titanion charakterisiert die elektronische Struktur. Starke Korrelationen zwischen diesen 3d-Elektronen führen dazu, dass sich die Ladungsträger nicht frei im Kristall bewegen können, sondern an den Titanionen lokalisiert sind. Dabei wird ein bestimmtes Elektronenorbital besetzt, das als t2g-Orbital bezeichnet wird (Abb. 2) [1]. Unter Normalbedingungen sind YTiO3 und LaTiO3 daher keine Metalle, sondern Isolatoren (Mott-Hubbard-Isolatoren) mit einer Lücke im elektronischen Anregungsspektrum. Durch die Anwendung hohen Druckes kann die Lokalisierung der Elektronen jedoch nach und nach aufgehoben und so ein metallischer Zustand erreicht werden.
Die räumliche Ausrichtung der t2g-Orbitale spiegelt sich bei Normalbedingungen in einer geringfügigen Verzerrung der Titan-Sauerstoff-Oktaeder wider. Es erscheint daher möglich, aus detaillierten Röntgenstrukturuntersuchungen (an der ESRF in Grenoble durchgeführt) Informationen über die orbitale Ordnung und ihre Veränderungen unter Druck zu gewinnen. Beim YTiO3 führt die Anwendung hohen Druckes von mehr als 10 GPa zu einer plötzlichen Veränderung in der Verzerrung der Oktaeder. Ursache für diese Veränderungen könnte eine Umorientierung der t2g-Orbitale sein: Sie würden sich nach dieser Interpretation um etwa 45º drehen, wie in Abbildung 2 dargestellt [2]. Allerdings sind unter hohem Druck auch andere Mechanismen denkbar, die zu den beobachteten Strukturveränderungen führen könnten; dies bedarf noch einer weitergehenden Untersuchung mit anderen Methoden. Grundsätzlich repräsentieren die Orbitale die räumliche Verteilung der Elektronen im Kristall. Eine druckinduzierte Umorientierung der Orbitale wäre demnach gleichbedeutend mit einer Umverteilung der Ladungsträger. Somit bieten Hochdruckexperimente eine Möglichkeit, den Zusammenhang zwischen orbitaler Ordnung und anderen physikalischen Eigenschaften, z.B. dem Magnetismus oder dem elektronischen Anregungsspektrum, experimentell zu untersuchen.
Eine wesentliche Kenngröße zur Beschreibung eines Mott-Hubbard-Isolators ist die Größe der elektronischen Bandlücke. Sie bestimmt die minimale Energie, die man einem lokalisierten Elektron zuführen muss, um es anregen zu können, beispielsweise, um es von einem Titanplatz zu einem benachbarten springen zu lassen. Beim YTiO3 beträgt die in optischen Experimenten bestimmte Bandlücke etwas weniger als 1 eV. An dem in den letzten Jahren am Synchrotron ANKA (Karlsruhe) aufgebauten Messplatz für Infrarot-Mikrospektroskopie ließ sich die Veränderung der optischen Bandlücke von YTiO3 unter Druck direkt messen. Abbildung 3 zeigt Spektren der Absorptionskante von YTiO3 als Funktion des Druckes, wie sie mit Synchrotron-Infrarotstrahlung an einer Probe in einer Diamantfenster-Druckzelle gemessen wurden. Die beobachtete Verschiebung zu kleineren Energien zeigt eine Verringerung der Anregungslücke mit steigendem Druck an. Dies spiegelt eine graduelle Delokalisierung der Elektronen und einen Trend zur Metallisierung wider. Eine detaillierte Auswertung dieser Messergebnisse zeigt zudem, dass die oben beschriebene Veränderung in der Verzerrung der Titan-Sauerstoff-Oktaeder die Verringerung der Bandlücke beeinflusst [2].
LaTiO3 besitzt bei Normalbedingungen eine im Vergleich zum YTiO3 weniger stark verzerrte Kristallstruktur, woraus eine wesentlich kleinere elektronische Bandlücke von nur etwa 0,1 eV resultiert. Eine vollständige Delokalisierung der Elektronen, also die Metallisierung von LaTiO3, sollte daher in dem experimentell realisierbaren Druckbereich möglich sein. In der Tat zeigen die Mittelinfrarot-Reflexionsspektren in Abbildung 3 eine massive Zunahme des Reflexionsgrades bei niedrigen Energien. Dies deutet auf eine Delokalisierung der Ladungsträger in LaTiO3 bereits bei moderatem Druck von etwa 10 GPa hin. Eine detaillierte Modellierung der gemessenen Reflexionsspektren und der damit verbundenen Frequenzabhängigkeit der optischen Leitfähigkeit unterstützt diese Schlussfolgerung. Die Einfügung in Abbildung 3 zeigt Reflexionsspektren von LaTiO3 im Energiebereich der Gitterschwingungen (Phononen). Bei niedrigem Druck sind mehrere Phononenbanden zu erkennen, die mit zunehmendem Druck schwächer werden. Auch dies lässt sich auf die Metallisierung des LaTiO3 unter Druck zurückführen.
Die Kombination von Röntgenstruktur- und infrarot-spektroskopischen Untersuchungen unter hohem Druck liefert detaillierte Informationen darüber, wie sich isolierende Übergangsmetalloxide dem metallischen Zustand nähern. Von Interesse sind derartige experimentelle Ergebnisse insbesondere im Zusammenhang mit neueren Entwicklungen in der theoretischen Beschreibung von Systemen mit korrelierten Elektronen – beispielsweise im Rahmen der Dynamischen Molekularfeldtheorie (Dynamical Mean Field Theory, DMFT), wie sie in den Abteilungen Andersen und Metzner am Max-Planck-Institut für Festkörperforschung entwickelt und angewendet wird. Derartige Berechnungen zur elektronischen Struktur von Übergangsmetalloxiden lassen sich anhand der hier vorgestellten Resultate aus Hochdruckexperimenten testen.
Ungewöhnliche Hochdruckphasen von Alkalimetallen
Die leichten Alkalimetalle Lithium und Natrium zählen zu den so genannten einfachen Metallen. Das bedeutet, dass sie in hochsymmetrischen Strukturen mit dichter Atompackung kristallisieren und die Valenzelektronen sich nahezu frei durch das Gitter der Atomrümpfe bewegen können. Unter hohem Druck erwartet man jedoch eine zunehmende Wechselwirkung zwischen den Valenzelektronen und dem Atomgitter (eine stärkere Hybridisierung von s- und p-Orbitalen), die sich auch auf die Phasenstabilität auswirken sollte. Auf der Basis von Berechnungen der elektronischen Struktur (so genannte ab-initio- Rechnungen, d.h. ohne empirische Parameter für die Eigenschaften der Atome und ihre Bindung) haben Neaton und Ashcroft vorausgesagt [3], dass für Lithium symmetrieerniedrigende Phasenübergänge bei 2,5facher Kompression (40–50 GPa) zu erwarten sind und dass dieses Alkalimetall bei Drücken oberhalb von 100 GPa sogar isolierend werden könnte. Diese zweite Voraussage steht im Gegensatz zu der allgemeinen Regel, nach der die Anwendung von hinreichend hohen Drücken zu metallischen Zuständen führt. Das neue Interesse am Verhalten der leichten Alkalimetalle unter extremen Drücken ist auch im Zusammenhang mit der Voraussage eines Isolator-Metall-Übergangs in festem Wasserstoff zu sehen.
Die Kombination von Strukturuntersuchungen mit ab-initio-Rechnungen ergibt ein detailliertes Bild der ungewöhnlichen chemischen Bindung in den Hochdruckphasen von Lithium und Natrium. Die berechnete Verteilung der Valenzelektronendichte für die in Abbildung 4 (links) gezeigte Hochdruckstruktur von Lithium und Natrium weist ausgeprägte Maxima im Bereich der Zwischengitterplätze auf [4, 6]. Obwohl diese Plätze nicht mit Atomen besetzt sind, gibt es dennoch eine Anhäufung von elektrischer Ladung, die der in den binären Verbindungen vom Pu2C3-Typ ähnelt. Die berechnete elektronische Bandstruktur zeigt ferner, dass die Hochdruckphasen von Lithium und Natrium als Halbmetalle anzusehen sind.
Die schweren Alkalimetalle weisen ebenfalls einen Trend zur Bildung niedrigsymmetrischer Phasen unter hohem Druck auf [7]. Als Beispiel ist in Abbildung 4 (rechts) die komplexe Struktur einer Hochdruckphase von Rubidium bei 17 GPa dargestellt [8]. Eine ähnliche Phase haben wir ebenfalls für Natrium bei 125 GPa gefunden [5]. Auch diese Phase von Natrium ist ein Halbmetall. Ein möglicher druckinduzierter Übergang von leichten Alkalimetallen in einen isolierenden Zustand, wie von Neaton and Ashcroft diskutiert, konnte bislang jedoch nicht beobachtet werden.
Spektroskopie elektronischer Anregungen mit inelastischer Röntgenstreuung
Eine charakteristische Anregungsform in Metallen mit fast freien Elektronen (wie den leichten Alkalimetallen) sind Plasmonen. Die Energiequanten dieser longitudinalen Elektronendichtewellen liegen im Bereich von etwa 10 eV. Die herkömmliche Beschreibung von Plasmonen in Metallen mit nahezu freien Elektronen hat sich ausgiebig mit verschiedenen Beiträgen zur Elektron-Elektron-Wechselwirkung befasst. In neuerer Zeit wurde im Rahmen von ab-initio-Rechnungen für Elektronen in metallischen Systemen vorausgesagt [9], dass die Plasmonendispersion, d.h. die Energie als Funktion der Wellenlänge bzw. des Wellenvektors, und insbesondere die Lebensdauer der Plasmonen durch die Wechselwirkung mit dem Gitter der Atomrümpfe stark beeinflusst werden. Hochdruckexperimente können einen wesentlichen Beitrag zu diesem neuen theoretischen Ansatz leisten. Natrium ist hierbei die nahezu ideale Modellsubstanz: Einerseits kommen seine elektronischen Eigenschaften bei Normalbedingungen denen des Idealbildes eines Metalls mit fast freien Elektronen besonders nahe. Andererseits ist es sehr kompressibel, sodass die Dichte der Valenzelektronen (einer der fundamentalen Parameter in der Physik der Plasmonen) unter Druck stark variiert werden kann.
Als experimentelle Methode bietet sich die inelastische Röntgenstreuung (IXS) an einer Synchrotronquelle der dritten Generation an. An einer solchen Quelle, auch in diesem Falle nutzten wir die ESRF Grenoble, steht ausreichend Intensität zur Verfügung, um die inelastische Streuung an einer kleinen Probe in der Diamantfenster-Druckzelle hochauflösend zu detektieren. Wir konnten IXS-Spektren der kubisch-raumzentrierten Phase von Natrium bei Drücken bis zu 45 GPa messen [10]. In diesem Druckbereich verdreifacht sich die Dichte nahezu. Zur Bestimmung der Plasmonendispersion wurden Spektren bei festem Druck und unterschiedlichen Impulsüberträgen gemessen (Abb. 5). Der Einfluss von Druck auf die Plasmonenenergie bei konstantem Impulsübertrag (5 nm-1) ist ebenfalls in Abbildung 5 gezeigt. Zum Vergleich ist die erwartete Energieänderung im Rahmen eines Modells freier Elektronen dargestellt, das in etwa die konventionelle Beschreibung wiedergibt. Ein wesentliches Ergebnis ist, dass die Differenz zwischen der konventionellen Beschreibung und den tatsächlich beobachteten Energien mit steigendem Druck dramatisch zunimmt.
Kurzreichweitige Elektron-Elektron-Korrelationen können die beobachtete Diskrepanz nicht erklären. Ihr Einfluss sollte bei niedriger Dichte am deutlichsten zu sehen sein und im Limit sehr hoher Dichte verschwinden. Andererseits, wenn wir druckinduzierte Änderungen in der berechneten Bandstruktur von Natrium berücksichtigen, lassen sich die beobachteten Druckeffekte auf die Plasmonenenergie fast vollständig reproduzieren (siehe Abb. 5). Der scheinbar anomale Druckeffekt kann also im Rahmen bestehender Modelle erklärt werden. Die Ergebnisse unserer Druckexperimente demonstrieren eindrucksvoll die Bedeutung von bisher weitgehend vernachlässigten Bandstruktureffekten für die Eigenschaften von Plasmonen.
Die Möglichkeit zur Untersuchung der Dispersion elektronischer Anregungen unter hohem Druck eröffnet ein breiteres Anwendungsspektrum für die inelastische Röntgenstreuung in der Hochdruckforschung. Dazu zählen Untersuchungen zur chemischen Bindung in kovalent gebundenen Halbleitern ebenso wie solche zu den elektronischen Eigenschaften flüssiger Systeme.
Die hier vorgestellten Arbeiten sind in Zusammenarbeit mit den folgenden Kollegen entstanden: Ulrich Schwarz (MPI/CPfS Dresden); Michael Hanfland, Giulio Monaco, Gyorgy Vanko und Michael Krisch (ESRF Grenoble); Niels E. Christensen (Aarhus); Dimitri Novikov (Cambridge); Yves-Laurent Mathis (ANKA Karlsruhe).