Elektronische Eigenschaften von Metalloxid-Grenzflächen

Forschungsbericht (importiert) 2007 - Max-Planck-Institut für Festkörperforschung

Autoren
Keimer, Bernhard; Habermeier, Hanns-Ulrich
Abteilungen
Abteilung Keimer (Physik) (Prof. Dr. Bernhard Keimer)
MPI für Festkörperforschung, StuttgartWissenschaftliche Servicegruppe "Technologie" (Dr. Hanns-Ulrich Habermeier)
MPI für Festkörperforschung, Stuttgart
Zusammenfassung
Metalloxide zeigen im Volumen eine Vielzahl ungewöhnlicher elektronischer Eigenschaften wie z.B. Hochtemperatur-Supraleitung und magnetische Ordnung. Dieser Artikel beschreibt die Herstellung von Heterostrukturen komplexer Metalloxide und die Charakterisierung der darin enthaltenen Grenzflächen mittels verschiedener experimenteller Methoden. Die Resultate könnten sich als wegweisend für eine neue Generation elektronischer Bauelemente erweisen.

Einleitung

Grenzflächen zwischen zwei Halbleitern sind eine wesentliche Grundlage der modernen Mikroelektronik. Beispielsweise kann in einem Transistor die elektrische Leitfähigkeit einer solchen Grenzschicht sehr empfindlich über externe Spannungen gesteuert werden. Um die Leistungsfähigkeit von Transistoren und anderen mikroelektronischen Bauelementen zu optimieren, wurde über Jahrzehnte hinweg eine Fülle von Informationen über die Zustände von Elektronen an Halbleiter-Grenzflächen zusammengetragen. Von entscheidender Bedeutung ist dabei die strukturelle Qualität der Grenzflächen: In modernen Halbleiter-Bauelementen sind diese bis zum Niveau einzelner Atome hin scharf ausgeprägt. Jüngste Entwicklungen haben nun dazu geführt, dass Grenzflächen auch für komplexe Materialien wie z.B. Metalloxide mit atomarer Präzision hergestellt werden können. Dies ermöglichte u.a. die Demonstration von hochbeweglichen Elektronengasen, Transistor-Effekten und dem Quanten-Hall-Effekt, analog zu ähnlichen Phänomenen, die zuvor an hochreinen Halbleiter-Grenzflächen beobachtet wurden. Da Metalloxide aber selbst im Volumen eine Vielfalt von Eigenschaften (wie z.B. Supraleitung und magnetische Ordnung) aufweisen, die in konventionellen Halbleitern nicht vorkommen, eröffnet sich durch die jüngsten Fortschritte in der Materialentwicklung ein völlig neues Forschungsgebiet. An unserem Institut haben wir uns zum Ziel gesetzt, die elektronischen Eigenschaften von Grenzflächen verschiedener komplexer Metalloxide zunächst im Detail zu verstehen und sodann gezielt zu manipulieren. Sollte dies in einem ähnlichen Ausmaß wie bei den Halbleitern gelingen, könnten völlig neuartige elektronische Bauteile realisiert werden.

Herstellung von Heterostrukturen

Der erste Schritt in diese Richtung ist die Präparation von chemisch reinen, atomar scharfen Grenzflächen. Das bislang erfolgreichste Verfahren ist die Pulsed Laser Deposition (PLD), in dem ein Target der gewünschten chemischen Zusammensetzung dem fokussierten, gepulsten Strahl wohldefinierter Energiedichte eines UV-Lasers ausgesetzt wird. Durch die kurzzeitige Wechselwirkung des Photonenfeldes mit dem Target entsteht eine dünne Schicht einer stark überhitzten Schmelze, die durch die entstandenen hohen Druckgradienten pulsartig expandiert und auf einem wenige Zentimeter vom Target entfernten Substrat abgeschieden wird. Dieser im Grunde sehr einfache Prozess erlaubt es, komplexe Materialien ohne Veränderung ihrer chemischen Zusammensetzung als dünne Schicht abzuscheiden. Durch Variation der Prozessparameter (Energiedichte, zeitliche Abfolge der Pulse, Zusammensetzung und Druck der umgebenden Atmosphäre, Substrattemperatur, Art und Oberflächenbeschaffenheit des Substrates) kann auf das Wachstum der Schichten Einfluss genommen werden, und es lassen sich einkristallartige Filme komplexer Oxide sowie Heterostrukturen und Übergitter aus ihnen herstellen. Qualität und Reproduzierbarkeit solcher Schichten und Schichtstrukturen hängen sehr von der exakten Kontrolle der Prozessparameter ab, die nur mit großem technologischen und experimentellen Aufwand realisiert werden kann [1].

Abbildung 1 zeigt eine PLD-Anlage an unserem Institut, die dem heutigen Stand der Technik entspricht. Eine Besonderheit stellt dabei die Möglichkeit dar, durch Elektronenstrahlbeugung in-situ den Wachstumsmodus (Lagenwachstum, Inselwachstum) zu beobachten und die Kristallstruktur direkt zu untersuchen. Die Struktur der fertigen Probe kann sodann ex-situ durch Transmissions-Elektronenmikroskopie (TEM) mit atomarer Auflösung bestimmt werden. Nach Optimierung des Wachstumsprozesses zeigen die TEM-Bilder eine nahezu perfekt periodische Anordnung der Atome, die auch durch Grenzflächen verschiedener komplexer Oxid-Materialien nicht unterbrochen wird (Abb. 2).

Experimentelle Methoden zur Untersuchung von Grenzflächen

Der nächste Schritt ist die Sondierung des Verhaltens der Elektronen an Grenzflächen, die typischerweise einige Nanometer im Material vergraben sind. Dabei ist zunächst der Ladungstransport von Interesse: Verhält sich eine Heterostruktur elektrisch wie zwei voneinander unabhängige Widerstände, oder öffnen sich an der Grenzfläche Transportkanäle, die in keiner der konstituierenden Schichten vorhanden sind? Normale Leitfähigkeitsmessungen sind zur Beantwortung dieser Frage in der Regel unzureichend, denn das Ergebnis hängt sehr stark von der Anordnung der elektrischen Kontakte ab. In unserer Arbeitsgruppe verwenden wir daher zusätzlich Infrarotspektroskopie, eine Methode, bei der das Aufbringen von Kontakten nicht erforderlich ist. Die Intensität und der Polarisationszustand von Infrarotstrahlung, die an einer Heterostruktur reflektiert wird, liefern detaillierte Informationen über den Beitrag jeder Schicht und Grenzfläche zur frequenzabhängigen Leitfähigkeit [2].

Wenn sich in solchen Messungen interessante Effekte zeigen, stellt sich die Frage nach den Ursachen. Ein bereits aus der Halbeiterphysik bekannter Mechanismus grenzflächenspezifischer Leitfähigkeit ist die Diffusion von Leitungselektronen über die Grenzfläche hinweg in das Material mit der höheren Bindungsenergie. Durch elektrostatische Wechselwirkungen werden solche Elektronen im grenzflächennahen Bereich festgehalten und stellen somit ein zweidimensionales Elektronensystem dar, dessen Eigenschaften sich drastisch von denen der Volumenmaterialien jenseits der Grenzfläche unterscheiden können. Eine gängige, auch in unserer Arbeitsgruppe praktizierte Methode zur Bestimmung der Ladungsdichte ist die Röntgen-Absorptionsspektroskopie: Durch eine Änderung der Ladungsdichte verschieben sich die Valenzzustände im Material enthaltener Ionen und somit deren Absorptionskanten für Röntgenstrahlung. Dabei verwendeten wir Strahlung, die von einem Synchrotron emittiert wird, denn sowohl die Photonenenergie als auch die Polarisation von Synchrotronstrahlung lassen sich kontinuierlich variieren, was an einer konventionellen Labor-Röntgenquelle nicht möglich ist. Durch eine systematische Variation der Photonenenergie gelang es uns, Atome direkt an der Grenzschicht zu beobachten, ohne dass die oberflächennahen Schichten das Signal beeinflussten. Im Gegensatz zu Halbleitern zeigen viele Metalloxide darüber hinaus komplexe magnetische Ordnungsphänomene. Deshalb verwenden wir u.a. die Reflexion von Neutronenstrahlen, um Informationen über die Magnetfeldverteilung innerhalb der Probe zu erhalten. Neutronen sind elektrisch neutral und dringen daher tief in die meisten Materialien ein. Da sie überdies ein intrinsisches magnetisches Moment besitzen, wird der Neutronenstrahl durch die von Elektronen verursachten Magnetfelder innerhalb der Probe abgelenkt. Aufgrund der Intensität und Winkelverteilung des reflektierten Strahls lässt sich somit das Magnetisierungsprofil in der Nähe der Grenzschichten rekonstruieren.

Beispiel: Grenzflächen zwischen Supraleitern und Ferromagneten

Im Folgenden soll diese Arbeitsweise anhand eines aktuellen Beispiels veranschaulicht werden. Das in Abbildung 2 dargestellte Übergitter besteht aus jeweils 10 nm dicken Schichten von La2/3Ca1/3MnO3, einem Ferromagneten, und YBa2Cu3O7, einem „Hochtemperatur-Supraleiter“, dessen elektrischer Widerstand unterhalb einer kritischen Temperatur von Tc ≈ 90 K vollständig verschwindet. Da Supraleiter sehr empfindlich auf Magnetfelder reagieren, hatten wir uns zum Ziel gesetzt herauszufinden, ob sich dieses Phänomen durch die unmittelbare Nähe zu einem Ferromagneten an den Grenzschichten einer solchen Struktur beeinflussen lässt. Das Ergebnis war überraschend. Insbesondere zeigten Reflexionsexperimente mit Neutronenstrahlen, dass der Hochtemperatur-Supraleiter an der Grenzschicht eine starke ferromagnetische Magnetisierung aufweist [3]. Besonders überraschend war die Beobachtung, dass die magnetischen Momente an beiden Seiten der Grenzschicht entgegengesetzt ausgerichtet sind (Abb. 3(c)). Darüber hinaus zeigten die Experimente die Bildung neuartiger magnetischer Domänenstrukturen, sobald das Übergitter unterhalb Tc (der kritischen Temperatur für die Supraleitung) abgekühlt wurde (Abb. 3(a,b)) [4, 5].

Diese Ergebnisse legten die Annahme nahe, dass die quantenmechanischen Eigenschaften der Elektronen an der Grenzfläche sich von denjenigen im Materialvolumen fundamental unterscheiden. Analog zu freien Atomen können Elektronen in Metalloxiden eine diskrete Anzahl von Zuständen („Orbitale“) besetzen, deren Elektronendichteverteilung sehr unterschiedlich sein kann. Die physikalischen Eigenschaften von Metalloxiden hängen stark davon ab, welches dieser Orbitale tatsächlich besetzt ist. Wenn die Elektronen beispielsweise an allen Gitterplätzen dasselbe Orbital besetzten, so wird das Material in der Regel antiferromagnetisch, d.h. die magnetischen Momente benachbarter Elektronen sind antiparallel zueinander ausgerichtet, und die makroskopische Magnetisierung verschwindet. Alterniert jedoch die Orbitalbesetzung von einem Gitterplatz zum nächsten, so führt dies zumeist zu paralleler Ausrichtung aller Magnetmomente und somit zum Ferromagnetismus.

Die Ladungsdichte und Orbitalbesetzung an den YBa2Cu3O7/La2/3Ca1/3MnO3-Grenzschichten konnten mittels Röntgen-Absorptionsexperimenten bestimmt werden. Abbildung 4 zeigt Absorptionsspektren für grenzflächenferne (obere Kurven) und grenzflächennahe (untere Kurven) atomare Lagen innerhalb des Supraleiters YBa2Cu3O7 [6]. Man sieht zunächst, dass die Absorptionskante von Kupfer an der Grenzfläche zu niedrigeren Photonenenergien verschoben ist. Dies ist ein Anzeichen für eine Änderung des Valenzzustands von Kupfer aufgrund von Elektronendiffusion über die Grenzschicht hinweg. Die Absorption von Röntgenstrahlen mit Polarisation senkrecht und parallel zur Grenzschicht lieferte darüber hinaus Informationen über die Gestalt der Elektronendichte in der Nähe von Kupferatomen in YBa2Cu3O7. Die Absorptionsspektren für grenzflächenferne Kupferatome in Abbildung 4 stimmen sehr gut mit früheren Experimenten an YBa2Cu3O7-Volumenkristallen überein, die ein besonders robustes Muster der Orbitalbesetzung nachgewiesen hatten. Da die Elektronendichte dieser Orbitale parallel zur Grenzschicht größer ist als senkrecht dazu, werden Röntgenstrahlen mit Polarisation parallel zur Grenzschicht stärker absorbiert.

Für grenzflächennahe Kupferatome ist die Polarisationsabhängigkeit der Absorptionsspektren jedoch stark reduziert, was darauf hindeutet, dass an der Grenzfläche zum Manganoxid völlig verschiedene Orbitale besetzt sind. Durch numerische Rechnungen konnten wir diesen Effekt auf die Bildung einer starken chemischen Bindung über die Grenzfläche hinweg zurückführen. Da die Elektronenspins innerhalb einer kovalenten Bindung zumeist antiparallel zueinander ausgerichtet ist, erklären dieselben Rechnungen auch das Magnetisierungsprofil an der Grenzfläche (Abb. 3(c)).

Blick in die Zukunft

Das durch diese Experimente erarbeitete mikroskopische Verständnis der Ladungsdichte, Orbitalbesetzung und Magnetisierung an Metalloxid-Grenzflächen eröffnet nun die Möglichkeit, diese Freiheitsgrade durch Synthese neuer Heterostrukturen und Übergitter gezielt zu manipulieren und so zweidimensionale Elektronensysteme mit kontrollierten Wechselwirkungen herzustellen. Es ist zu erwarten, dass solche Systeme Eigenschaften aufweisen, die in Halbleiter-Elektronensystemen undenkbar sind, und die Ingenieuren als Grundlage neuer elektronischer Bauelemente dienen können. So wäre z.B. ein Transistor denkbar, in dem die Supraleitung durch externe Spannungen ein- und ausgeschaltet werden kann. Unsere eigene Forschungsarbeit wird sich in Zukunft auf die gezielte Stabilisierung der Supraleitung und die Erhöhung der Übergangstemperatur Tc durch Grenzflächeneffekte konzentrieren, mit dem Fernziel der Erzeugung eines Raumtemperatur-Supraleiters.

Originalveröffentlichungen

1.
Habermeier, H.-U., G. Cristiani, R. K. Kremer, O. Lebedev und G. van Tendeloo:
Cuprate-manganate superlattices: a model system for a bulk ferromagnetic superconductor.
Physica C 364, 298-365 (2001).
2.
Holden, T., H.-U. Habermeier, G. Cristiani, A. Golnik, A. Boris, A. Pimenov, J. Humlicek, O. Lebedev, G. Van Tendeloo, B. Keimer und C. Bernhard:
Proximity induced metal/insulator transition in YBa2Cu3O7/La2/3Ca1/3MnO3 superlattices.
Physical Review B 69, 064505 (2004).
3.
Stahn, J., J. Chakhalian, C. Niedermayer, J. Hoppler, T. Gutberlet, J. Voigt, F. Treubel, H.-U. Habermeier, G. Cristiani, B. Keimer und C. Bernhard:
Magnetic proximity effect in perovskite superconductor/ferromagnet multilayers.
Physical Review B 71, 140509(R) (2005).
4.
Chakhalian, J., J. W. Freeland, G. Srajer, J. Strempfer, G. Khaliullin, J. C. Cezar, T. Charlton, R. Dalgliesh, C. Bernhard, G. Cristiani, H.-U. Habermeier und B. Keimer:
Magnetism at the interface between ferromagnetic and superconducting oxides.
Nature Physics 2, 244-248 (2006).
5.
Freeland, J. W., J. Chakhalian, H.-U. Habermeier, G. Cristiani und B. Keimer:
On magnetic interlayer coupling and proximity effect in a La0.67Ca0.33MnO3 (10 nm) / YBa2Cu3O7 (10 nm) superlattice.
Applied Physics Letters 90, 242502 (2007).
6.
Chakhalian, J., J. W. Freeland, H.-U. Habermeier, G. Cristiani, G. Khaliullin, M. van Veenendaal und B. Keimer:
Orbital Reconstruction and Covalent Bonding at an Oxide Interface.
Science 318, 1114-1117 (2007).
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